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rheinsein : Interessante Tatsache bei binnendeutschen Lachmöwen

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Mit solcher Sicherheit und Bestimmtheit wie beim Storch kann man heute wohl noch bei keiner anderen Vogelart eine Zugskarte entwerfen, obwohl es vielfach geschieht. Man hat z. B. auch Krähen und Lachmöwen massenhaft beringt, aber beide sind eigentlich mehr Strich- als echte Zugvögel, und schon deshalb kann hier der Versuch nicht so klare und weitreichende Ergebnisse zeitigen. Immerhin ergab sich bei den Lachmöwen die interessante Tatsache, daß sie möglichst den Anschluß an eine Hauptstraße zu gewinnen suchen und dabei auch Umwege in scheinbar ganz verkehrter Richtung nicht scheuen. So ziehen manche binnendeutsche Möwen, deren Zug überhaupt stark auseinander strahlt, im Herbst zunächst den Rhein abwärts, also gen Norden, um erst einmal in Holland die Hauptstraße zu erreichen. Ähnlich war es bei meiner Heimatstadt Zeitz, wo die an Zugstraßen sich haltenden Arten im Herbst zunächst die Elster abwärts zogen, also nach Norden, um erst einmal Anschluß an das Elbetal zu erreichen, und im Frühjahr von dort aus kamen, also das letzte Stück ihres Weges südwärts flogen: gerade umgekehrt, als man erwarten sollte. Die in breiter Front ziehenden Arten dagegen flogen einfach südwestwärts. Auch in Württemberg suchen viele Arten zunächst einmal das Neckartal zu gewinnen, um dadurch den Schwarzwald, der von ihnen nicht gern überflogen wird, nördlich zu umgehen und in die große Zugstraße der Rheinebene zu gelangen. Ich habe den Versuch gemacht, diejenigen europäischen Zugstraßen, die wir nach dem heutigen Standpunkte der Vogelkunde einigermaßen sicher kennen, auf einem Kärtchen einzutragen, muß aber immer wieder ausdrücklich betonen, daß es sich bei allen Vogelzugskarten vorläufig immer nur eben um Versuche handeln kann, daß sie also stets cum grano salis zu nehmen sind und durch zukünftige Forschung wahrscheinlich mancherlei Richtigstellungen erleiden werden. Begründer der Zugstraßen-Theorie ist der berühmte finnische Forscher I. A. Palmén, der sich hauptsächlich auf das Vorkommen seltener nordischer Schwimmvögel zur Zugzeit stützte und bereits verschiedene Arten von Zugstraßen als marine, litorale, fluviatile usw. unterschied. Obgleich seine Begründung mancherlei Mängel aufwies und namentlich E. F. v. Homeyer heftig Sturm gegen ihn lief, hat sich der geistreiche Finnländer doch siegreich durchgesetzt, und heute leugnet wohl niemand mehr das Bestehen bestimmter Zugstraßen, die aber – wohlgemerkt! – nur für einen Teil unserer Vogelwelt Geltung haben. Besonders deutlich treten sie natürlich in Gebirgsgegenden hervor, wo sich die Vögel an die tiefer eingeschnittenen Pässe halten müssen, wie wir Menschen ja auch, und wo ihr Erscheinen oder Nichterscheinen das wirtschaftliche Wohlergehen ganzer Volksstämme in hohem Maße beeinflußt. Nicht umsonst errichten die italienischen Vogelmassenmörder ihre größten und erfolgreichsten Roccoli am Ausgang der Alpenpässe.

(aus Kurt Floericke: Vögel auf der Reise)


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