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Die Dschungel. Anderswelt. (Alban Nikolai Herbst / Alexander v. Ribbentrop) : Bläue. So weit die Augen tragen. Der sechste auf den siebenten Tag. In den Abend...

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https://picasaweb.google.com/lh/photo/kKLBedVpUidd6Q46eIr1CFt41Unti5oBlwjV-sLbM4s?feat=directlink
[Montag,
8.25 Uhr.]
Als ich erwachte, gleißte die Sonne bereits, vom Meer reflektiert, zu mir herein: eine weitere Stunde haben wir gestern nach die Uhr zurückstellen müssen:: Ich irrte mich::: wir gewinnen an Zeit, indem wir in Ihren Morgen reisen; der Unterschied zu dem Ihren beträgt nunmehr nur noch vier statt der Hongkonger und Fremantler sieben Stunden. Dafür (seltsame Logik-Verbindung) scheinen wir die Regenzone durchfahren zu haben, schauen Sie sich‘s selber an:
BILD
. Dies bedeutet nun aber, daß die Verwendung von Sonnenschutzmitteln obligatorisch wird; schon gestern, da die Sonne immer wieder durch die Wolken kam, besaß sie enorme Kraft; abends spannte die Glatze. Insgesamt war der Tag sehr angenehm, die warmen Zwischenschauer erfrischten, und nachts stand ich unterm Kreuz des Südens und sag nicht nur dieses, sondern in die Milliarden Sterne empor.
Neben mir Johan, am Bug, die Augen ferne vorausgerichtet, ich stellte mich mit dem Whisky zu ihm, leise sprachen wir. Dann erzählte ich von dem Cellofreund >>>> und seinem Angebot. Johan, sich zu mir wendend, „Das kann doch nicht wahr sein!“ Er lachte kurz, lachte wieder. „Wir sind hier im tiefsten Niemandsland, es gibt nicht einmal einen Schiffsverkehr, der der Rede wert wär... und da erzählen S i e mir.... Das ist hier W ü s t e!“ „Doch doch“, bestätige ich abermals, „ich brauche nur die Adresse... und den Namen, selbstverständlich.“ Er lacht ein drittes Mal, seufzt dann: „Nicht mal das Internet funktioniert doch richtig...“ „Stimmt, das ist nervig. Ich brauche fast zwei Stunden morgens, mitunter geht allein eine Viertelstunde dafür drauf, daß man eingeloggt wird... wobei das aber schon als zu bezahlende Zeit zählt...“ Er: „Das habe ich längst aufgegeben. Aber nun, Ihr Leser.... es ist wirklich nicht zu fassen.“
Übersprunghaft möchte er wissen, ob es in Deutschland jetzt kalt ist. „Nicht mehr“, sage ich, „glaube ich. Als ich fortfuhr, hatte schon der Frühling begonnen.“ „Oh, und dann sitzen, nicht wahr?, alle draußen vor den Cafés, auch wenn sie Wintermäntel tragen müssen...“ „Und Handschuhe, ja.“
Unten am Achterdeck erzählt John, der Abenteuer 2, vom Gambling: Hunderennen in Hong Kong, Pferderennen in Australien, er gamble aber nur noch, unterdessen, Roulette. Und vorhin, Einsatz 5 AUD, beim Bingo in der Astor Lounge, „I made eightyfour...“ Wiederum zuvor das Ehepaar im Waldorf beim Dinner; er mit zwölf nach Australien gekommen, sie stammt in gerade Linie von den ersten britischen Siedlern ab, nein, nicht von den Gefangenen... Jetzt wollen sie, angekommen in London, hinüber in seine alte Heimat, die Niederlande, und Verwandte besuchen, „in Holland“, sagt er. Ich taste mich vor, erzähle, weshalb ich hier bin, muß immer wieder erklären, was ein „broadcast play“ ist, ein treffenderes Wort für „Hörspiel“, geschweige „Hörstück“ fällt mir nicht ein. Umschreiben: „It‘s a combination of feature and spectacle für radio, composed from stories, interviews, original sounds“ und so weiter. Vielleicht werde ich demnächst von einem Roman zum Anhören sprechen, „a novel to be listened to“, irgend sowas.
„Look“, sagt John, er Brandy, ich Whisky, „I know, you like it... so take one.“ Er hat, wo auch immer, ein gänzes Päckchen Cigarillos aufgetrieben, schmale Stifte, „try!“ Patrick, der zweite Abenteurer, ist heute abend nicht zu sehen; ich fantasiere, daß er Geschäften nachgeht, seltsamen, für die er an Bord acquiriert. Das ist selbstverständlich schon der Roman. Selbst hier ist die Wirklichkeit nur pragmatisch, nüchtern, nicht selten banal; sie braucht Aufladung. Die Sehnsucht, immer, ist stärker als die Realität. Sowohl erfüllter wie erfüllender.


Ich wachte also im Gleißen auf, schob mir die Kissen in den Rücken, sah mich um:


Dann etwas übergezogen und zum ersten Kaffee ans Achterdeck. Drunter, auf dem Rundgang außerhalb des Waldorfs achtern, ist Ruheplatz für die Servicekräfte; eine junge Dame ruht sich dort dem gleich beginnenden Dienst entgegen, der nicht selten bis spät in die Nacht geht. Einer der sehr wenigen Orte auf dem Schiff, der nur für sie ist:

Finden das nicht auch Sie schön, es zu betrachten? Ich tat das fast eine Viertelstunde lang.
Noch zehn Minuten, bis das Morgenbuffet eröffnet wird. Paar Schritte nach Backbord, dort an die Reling, und plötzlich... das gibt‘s doch nicht! silbern, fein die zu Segelschwirrern ausentwicklenten Flößchen... ein knapp unterarmlanger fliegender Fisch, der gar nicht mehr eintauchen will, nicht zu fassen, wie weit ihn die Luftströmung trägt. Dann ist er wieder weg. (Ich bin nicht gut im Fotografieren, merke es immer auf neue; schon gar nicht mag ich mich mit der Kamera in irgend einen Anstand legen; irgend eine Übertretung, eine Blasphemie, wär immer dabei, anders, als wenn ich beschreibe... Auffällig, daß ich diese Scheu nie verloren habe, ich, der ich in Übertretungen lebe. Ich spüre etwas Heiliges, das ich durch Fixierung nicht zerstören möchte. Andererseits fotografie ich ja oft, aber immer aus dem Handgelenk, immer etwas provisorisch, zufällig, skizzenhaft... Zum Beispiel mein Frühstück:
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).


Aber auch die Tiefe ist nicht selten nüchtern. Wohin, zum Beispiel, mit dem Abfall? Denken Sie an die Fäkalien täglich. 300 Passagiere, ebenso viel Personal, macht 600 mal, niedrig übern Daumen gepeilt, ein halbes Kilo, sind 300 Kilo Scheiße täglich, in der Woche 2100, auf der gesamten Tour 12.600. Und ich spreche nur von einem kleinen Kreuzfahrer; rechnen Sie das mal auf die Aida hoch, mit an die 2000 Passagieren...
Also dieses. Dann die Essensabfälle. Die übrigen Abfälle.
Ich frage nach.
Organischer Müll wird gepreßt, dann wird ihm das Wasser entzogen. Hochtechnisierter Standard. Die zerpulverte Trockenmasse wird ins Meer gegeben, „Dünger“, sagte Christian, „ein besseres Fischfutter gibt‘s nicht“. Ebenso wird mit Glasabfall verfahren: bis zur Konsistenz von Sand zermahlen, dann gepreßt. Und verklappt. Kein Plastik aber. „Aber die Wirklichkeit“, so Christian weiter, „die sieht leider anders aus, oft. Zum Beispiel dort, wo sie gerade das abgestürzte Flugzeugs vermutet wurden, aufgrund von Messungen, die das indizierten... Nichts als ein riesiger wandernder Abfallteppich.“
*

Bläue.
Bläue.
Der blaue Planet.

(Von den Pythons gehört, die in Florida eingeschleppt wurden, da gar nicht hingehören – aber was gehört schon wo hin? Kartoffeln nach Europa, Palmen in die Karibik? – und die sich nun derart vermehrt hätten, daß Jagdlizenzen auf sie ausgestellt würden, sozusagen Kopfprämien. Ebenso, erzählt das Ehepaar von gestern abend, die australischen Krokodile, die unter Artenschutz stehen, bzw. standen. Sie hätten sich derart vermehrt! - Aber wissen wir, was wir aus Reden erfahren? Der silbern blinkende, ja blitzende Fliegende Fisch. Ich dachte erst, wo einer sei, seien auch andre. Wartete. Doch keiner kam mehr nach.)



Bläue, so weit das Auge reicht. So weit die Wünsche tragen: Silber. Ein paar Quellwolken. So jetzt der Blick aus dem Fenster (daher die Streifen: Salzstreifen, außen auf dem Glas der Scheibe).
(9.50 Uhr.)


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