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500beine : Fast fatal

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Weil das Haus saniert wird, ziehen wir demnächst aus, nach über fünfundzwanzig Jahren heißt es fort von diesem magischen Ort. Dazu gibt es einiges zu sagen, das werd ich auch tun, aber nicht jetzt, nicht hier. Und doch kann ich so langsam beginnen, in der Vergangenheit zu schreiben, was den Kannenhof betrifft.

Die Wohnung war eine Art Dauercamping. Immerzu mussten wir improvisieren, weil irgendetwas nicht funktionierte, wie es vorgesehen ist. Nicht mal wir selbst funktionierten, wie man es gemeinhin von erwachsenen Mitstreitern erwartet.

Wir waren disfunktional.

Der Bruder vom dicken Hansen, der einige Jahre auf Kuba verbracht hat, aber nun in Köln lebt, besuchte uns immer dann, wenn ihn das Heimweh nach Havanna packte. Nach Menschen, die es gewohnt sind, Dinge nicht so genau nehmen, die ständig tricksen und fummeln und es irgendwie hinkriegen, aus der Trinkverpackung einer Capri Sonne eine neue Türschelle zu bauen.

Als Jack, ein weiterer Bekannter, auf einen Sprung reinschaute, staunte er beim Anblick der alten Wandfliesen im Badezimmer, "Jessas! So was hab ich das letzte Mal 1980 in Moskau gesehen!"

Die alte Alu-Jalousie, bordeauxrot, an meinem Fenster schließt schon lange nicht mehr richtig. Wenn die Mittagssonne am Himmel steht, muss ich schon Schatten spendende Geschirrtücher zwischen die Lamellen klemmen, um auf meinem Schreibtisch noch etwas lesen zu können. Und alle zwanzig Minuten müssen die Tücher ein Stück weiter nach rechts rücken, immer in Wanderrichtung der Sonne, bis sie endlich untergegangen ist. Erst dann ist der PC-Bildschirm frei von störendem Tageslicht. Erst dann seh ich wirklich, was ich den Tag über so alles am Bildschirm verbrochen hab.

Nun hatte unser Dauercamping weniger mit fehlenden finanziellen Mitteln zu tun, (gut, das auch), als eher mit einer gewissen Hingabe zum Leben aus dem Stegreif und dem damit verbundenen Wunsch, die Dinge zu belassen, wie sie sind, und nicht groß einzugreifen. Was allerdings schon mal ein fatales Ende nehmen kann. Sagen wir, fast.

Fast fatal.

*

Donnerstagabends, 2008

Gegen halb sechs kam ich aus dem Design-Institut, wo ich das Literatur-Archiv verwaltete, und verschwand erstmal aufs Klo. Das hätte ich natürlich auch im Institut tun können, doch ich scheiße am liebsten zu Hause. Zu Hause scheißen ist wie dem netten Nachbarn die Hand reichen, ein Gefühl von Heimat.

Es riecht nur anders.

Plötzlich wurde es laut und aufgeregt. Die Gräfin, die das Abendbrot vorbereitete, rief nach mir. Zunächst war ich nicht sonderlich beunruhigt, sie rief meinen Namen öfter mal. Etwa wenn sie das Gefühl beschlich, die Welt habe sich JETZT GERADE einen Moment zu schnell gedreht, DAS solle ich mir schleunigst mal angucken, am Fenster.

Dieses winzige Drehmoment.

"Das macht mich so wuschig, ich lag gerade schon fast auf der Nase!"

Doch schon ihr zweiter Ruf, "NUN MACH HIN, SCHNELL!!", war Panik pur. Ich zog die Hose hoch, riss die Klotüre auf und noch bevor ich einen Schritt in mein Zimmer machte, wo der Schrei hergekommen war, sah ich den Salat: Das rote Puschelzeugs, das mal ein Grabbesteck gewesen war und aus dem die Gräfin einen provisorischen Lampenschirm gebastelt hatte, stand in Flammen, direkt über dem kleinen Abendbrottisch.

"MACH DOCH WAS!" schrie sie.

Es loderte fast bis zur Zimmerdecke, und unter den roten Puscheln und dem Drahtgeflecht wartete ja noch die Glühbirne. Die war zwar nicht an, doch Elektrizität ist Elektrizität, konnte das nicht trotzdem explodieren, wenn das Feuer die Birne erreichte!?

Keine Ahnung!

"TU DOCH WAS!" schrie sie mich an.

"WAS DENN, VERDAMMT?!!"

Bevor ich das Falsche tat, tat ich lieber nichts und guckte mir das Feuerchen erst mal in aller Ruhe an. Und da auch die Gräfin nicht wusste, was zu tun war, standen wir um das brennende Bouquet aus roter Holzwolle herum, wie zwei stramme 68er Pariser Existentialisten, die dem absurden Dasein huldigten.

Es knisterte und es knusperte.

Das Problem lag auf der Hand: Hinter jeder richtigen Entscheidung, etwas zu tun oder zu unterlassen, lauern bekanntlich 60 falsche Entscheidungen, die nur darauf warten, zum Einsatz zu kommen. Die nur darauf brennen, sozusagen.

"Das stinkt nach Heu!" keuchte sie, während ich mich eher an ein Kartoffelfeuer im Oktober erinnert fühlte.

"Jetzt rein geruchstechnisch", sagte ich.

"Du quatscht nur Scheiße!" rief sie. "TU LIEBER WAS!"

Jetzt reichte es. Jetzt wurde ich auch laut. Ich wurde regelrecht ungemütlich. Adrenalin kochte in mir hoch, mir schlugen die Eier bis in den Hals.

"WIE IST DAS ÜBERHAUPT PASSIERT?"

"IST DOCH EGAL! MIT NER KERZE! ICH HAB NE KERZE ANGEMACHT UND NICHT AUFGEPASST!! HOL EIN HANDTUCH!"

"EIN HANDTUCH??"

"JA! EIN HANDTUCH!"

Was wollte sie mit einem Handtuch? Während sie um den Abendbrottisch herumlief und hastig die Funken von der Bio-Butter pustete, PFFF! PFFF! PFFF!!, rannte ich in die Küche. War ja nicht weit, von meinem Zimmer aus. Durch die Diele, dann links, und schon verharrte ich ratlos vor den Abtrockentüchern, die von der Wandleiste hingen.

"WAS FÜR EIN HANDTUCH?! EIN DICKES HANDTUCH? ODER REICHT EIN ABTROCKENTUCH?"

Fast war ich empört von mir selbst, dass ich so planlos war. Null Geistesgegenwart, und immer nur Fragen, Fragen über Fragen. Ich war ein 1 Meter 81 großes Fragezeichen, dem es allmählich selbst zu bunt wurde, Fragezeichen zu sein. Wo war eigentlich das verfluchte Adrenalin hin?

"IST DOCH EGAL WELCHES HANDTUCH!" brüllte sie. "MACH HIN! HIER FACKELT DOCH ALLES AB! RUF WENIGSTENS DIE FEUERWEHR!"

Pff, pff, pff! machte sie. Überall war Funken- und Flockenflug überm Abendbrottisch, es brannte zum Himmel. Na schön, zur Decke. Aber in der Wohnung ist nun mal die Decke der Himmel, das ist so.

Und überhaupt. Wer noch nie ein Feuer im eigenen Haus erlebt hat, dem sei gesagt: Es sind keine wirklichen Gedanken, die einem durch den Kopf schießen, es sind eher beleuchtete Werbetafeln, die nacheinander im Hirn aufblenden, wie bei einer Autofahrt durch die Nacht.

Tafel 1: Soll man einen Eimer voll Wasser holen und über das Feuer kippen? Aber da ist doch eine elektrische Leitung unter dem lodernden Puschelzeugs!

Tafel 2: Soll man eine Decke über die Flammen werfen, um sie zu ersticken? Aber wie soll man eine Decke über eine brennende Lampe werfen, wenn die von der Decke hängt, da ist doch der Kabel dazwischen!

Und die ganze Zeit lodern die roten Puscheln weiter, verrußte Schnipsel trudeln in die offene Butterdose, landen in den aufgeschnittenen Bio-Tomaten, in der Zuckerdose, im Milchpöttchen und in der hochgelobten Remoulade.

Sie schmierte ihr Brot damals mit würziger Remoulade statt mit Butter. Überhaupt, sie hatte es mit Gewürzen. Sie war überzeugt davon, Gott habe einen ganz besonders guten Tag gehabt, damals, als er die Gewürze erfand.

"Heute erfinde ich mal was, was ich noch nie erfunden hab!"

TA TA! "Es werde.. Kümmel!"

Und dann, ganz plötzlich - war der Spuk zu Ende. Das zum Lampenschirm umgebaute rote Grabbesteck machte einen letzten lodernden Seufzer, dann war es runter gebrannt. Übrig blieb das nackte, noch glühende Drahtgeflecht. Auch der ummantelte Kabelstrang war angeschmort.

Um zu prüfen, ob die Birne noch funktionierte, wollte ich den Lichtschalter anknipsen.

"HE, KEIN LICHT! MACH NICHT AN!"

"WIESO?"

"IST DOCH ELEKTRISCH!"

Frau Moll, die sich schon in einem frühen Stadium des Feuers davongestohlen hatte, kam lauthals schnuppernd zurück und ließ sich unterm Tisch nieder. Ihre Schwanzspitze trommelte auf dem Boden, als wollte sie Sahne schlagen. Können wir dann vielleicht langsam mal zu Abend essen?

Und just in den Moment, als sich so etwas wie Ruhe in unserer Campinghütte breitmachte, ein gewisser Frieden, eine Gefühl des Gerade-noch-mal-davon-gekommen-Seins, sprangen die zwei erst wenige Wochen zuvor unter der Decke installierten Feuermelder an. Ein mächtiger, fast hysterischer Alarm erhob sich, und es dauerte seine Weile, bis wir die beiden Schreihälse endlich mit dem Schrubberstiel platt geklopft hatten.


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