Quantcast
Channel: litblogs.net - aktuell
Viewing all articles
Browse latest Browse all 6060

Glumm : Babsi mochte ich gern

$
0
0

Sie hatte langes blondes Haar und Sinn für Humor, sie war herrlich vulgär, und sie war clever - eine  unschlagbare Mischung. Als Teenager landeten wir ein paar Mal zusammen im Bett, aber so richtig gefunkt hatte es nicht. Wir konnten dennoch nicht die Finger voneinander lassen und versuchten es immer wieder, auch in späteren Jahren, und jedes Mal hatten wir einen im Kahn.

Einmal hingen wir am Tresen, wir waren ziemlich hinüber. Als der Geschäftsführer die Glocke zur letzten Runde schlug, wollte ich mich schon vom Acker machen, doch sie bat mich, auf einen Sprung mit zu ihr zu kommen. Das war merkwürdig. In der Regel reichten Blicke und Andeutungen und dann zog man gemeinsam ab, doch hier war die Sachlage anders. Ich machte mir Sorgen, dass Babsi mich regelrecht gebeten hatte, sie nicht allein zu lassen in dieser Nacht. Irgendetwas steckte dahinter, mehr als bloßer Sex.

Sex hätte auch keinen Sinn gemacht, nicht in unserem Zustand, das wusste sie genau so gut wie ich. Aber was wusste ich denn. Auf einen Versuch konnte man es ankommen lassen. Auf einen Versuch konnte man es immer ankommen lassen. Das Leben war nichts anderes als eine unablässige Versuchsanordnung, ein Feldexperiment mit Exportbier und Gefechtslärm.

Und wer weiss, vielleicht ernüchtert mich der Herrgott auf dem kurzen Fußweg zu ihr, vielleicht fährt er mir mit dem sauren Schwamm durchs Gesicht und lässt mich, bling-bling, auferstehen.

Vielleicht auch nicht.

Es ging natürlich doch um Sex,  was denn sonst. Babsi zog alle Register, technisch gesehen. Sie nahm ihn in den Mund, sie zeigte mir ihre rasierte Muschi, sie machte ganz auf hochauflösende Großbildleinwand, es half alles nichts. Wir waren zu besoffen. Verzweiflung steht an jedem Ende, Verzweiflung und Dunkelheit. Ich ging noch vor Morgengrauen, ohne einen Ton zu sagen.

Als ich am nächsten Mittag daheim erwachte, war ich traurig. Etwas war zerbrochen zwischen Babsi und mir, und es war nicht rückgängig zu machen. Wir hätten uns diese verdammte letzte Nacht ersparen sollen. Ich hoffte inständig, die Bilder würden sich nicht zwischen uns stellen. Doch ich wusste, das würde nicht so sein.

Ich sah sie nicht wieder. Über mehrere Ecken erfuhr ich, dass sie wenig später nach Neuseeland ausgewandert war. Sie musste in dieser Nacht schon davon gewusst haben, sie wollte Abschied nehmen, warum hatte sie nichts gesagt. Ich kapierte es nicht, doch da war dieser riesige Stapel anderer Dinge, die ich ebenfalls nicht kapierte. Und der Stapel wurde nicht kleiner mit den Jahren. Gelegentlich rutschte eine kleine Angelegenheit heraus, doch das brachte nicht viel, weil sich dafür mindestens zwei neue Angelegenheiten dazwischen quetschten, von denen ich nicht die Bohne verstand.

Ich träumte von Babsi. Ich sah sie vor einer neuseeländischen Goldmine, mit einem Riesen-Nugget im Arm, für ein Foto der örtlichen Goldminenpresse. Sie lächelte triumphierend in die Kamera, und ihre Muschi war nicht rasiert. Das ist der Neuseeland-Pelz, sagte jemand im Traum.

In den Achtzigern war Babsi auf Schore gewesen, die ewige Junkiebraut. Zwar gelang es ihr immer wieder, einige Monate clean zu bleiben, und wenn man ihr in dieser Phase zufällig in der Stadt begegnete, berichtete sie stolz von frisch gezogener Minze auf dem Balkon, doch dieser Zustand war nie von Dauer. Es kam unweigerlich der Morgen, an dem Babsi übelgelaunt die Augen aufschlug und neben ihr lag ein Kerl und stank aus dem Hals.

Zuviel Cleansein, so Babs damals, schadet dem Geist. Es raubt einem den nötigen Nebel, der das Überleben erleichtert, ja garantiert, und vor allem: Zu viel Cleansein macht die Menschen hochmütig. Besonders dann, wenn sie es anders kennen, wenn sie Sucht schon einmal kennengelernt haben und nun glauben, Drogen nicht mehr zu brauchen. Wenn du an diesem Punkt angekommen bist..

“Heb deinen Arsch aus der Koje, Doofmann!” fuhr sie ihren Stecher an. “Wir müssen los!”

Rene war ein Kerl wie ein Baum. Bis zu dem Tag, an dem er Babsi kennernlernte, war er nur ein harmloser Kiffer gewesen. Es dauerte keine fünf Monate und er war ein Kerl wie ein Baum auf Heroin. Zweimal die Woche brachen Babsi und er nach Rotterdam auf, wo junge Marrokaner ganze Strassenzüge kontrollierten. Sie verkauften den Stoff aus Abbruchhäusern, in denen nur ein paar Tische und verlauste Sessel herumstanden und funzlige 25-Watt-Birnen von der Decke baumelten.

Junkies aus NRW kamen rund um die Uhr. Stets war jemand da, der die Tür öffnete, und stets war dieser Jemand bewaffnet und hiess Ali. Alle marrokanischen Pulverheinis im Rotterdam der 80er und 90er Jahre hiessen Ali. Man konnte gar nichts falsch machen, wenn man als Junkie neu in der Gegend war. Man fragte x-beliebige Passanten nach Ali, und der Passant, sofern er nicht selbst Ali war, zeigte zum nächsten Hauseingang. “Ali, da rein.”

Babsi und Rene hatten ihren speziellen, ihren eigenen Ali auf der Schagenstraat. Man war sich sympathisch geworden. Wenn man über ein Jahr lang zweimal die Woche Geschäfte miteinander macht, Geschäfte zur beiderseitigen Zufriedenheit, vertraut man sich mit der Zeit, und man wird nachlässig.

Ali telefonierte gerade, er wandt sich von Babsi und Rene ab. Dabei unterlief ihm ein Fehler. Er vergaß die Schatulle, die voller Bargeld war von einem vorangegangenen Deal. Rene griff geistesgegenwärtig in die offene Schatulle, entnahm ihr einen dicken Batzen Scheine und reichte ihn unterm Tisch an Babsi weiter. Die wusste erst nicht, was sie damit machen sollte, dann steckte sie die Kohle einfach in ihre riesige Handtasche. Ali, der mit einem Landsmann auf arabisch parlierte, drehte sich um und bedeutete den Beiden, dass das Telefongespräch länger dauern könnte und ging in den Nebenraum. Besser konnte es gar nicht laufen. Zeit zu verschwinden, flüsterte Babsi, und das Pärchen tat sich dadurch, Hals über Kopf, so still wie möglich.

In der Szene hatte Babsi den zweifelhaften Ruf, mehr Schore über die Grenze schmuggeln zu können als jede andere Braut. Ihre Muschi packte sie mit so vielen Heroinwürsten voll, (jede einzelne in mehrere Lagen Zellophan gewickelt), dass sie kaum noch aufrecht gehen konnte. “Die kann stopfen wie ein Postfach”, hiess es.

Auf der Rückfahrt Richtung Deutschland waren Babsi und Rene ausser sich vor Glück. Natürlich war jegliches künftige Geschäft mit Ali verbrannt, ihrem Stammdealer von der Schagenstraat, doch was kümmerte das ein Junkiepaar, wenn es gerade mit Moneten und Pulver satt auf dem Heimweg war.

Zuhause angekommen musste Rene zur Nachtschicht, er jobbte bei Wilkinson an der Maschine. Am nächsten Morgen weckte er Babsi und wollte die Knete sehen.

“Die hab ich verloren.”

Babsi konnte dumm-dreist lügen, wenn die Situation es erforderte, und sie kratzte sich die Schenkel. Das fand Rene, stämmig wie ein Pferd, überhaupt nicht witzig.

“Du blöde Junkiefotze, wo ist die scheiss Kohle!!?”

Jähzornig riss er ihr das bißchen Wäsche vom Leib, das sie trug. Umsonst, Babsi blieb dabei – die Kohle war weg. Verloren. Keine Ahnung. Weiß ich doch nicht. Rene konnte es nicht fassen. Er nahm den Kleiderschrank auseinander, in dem er die Scheine vermutete, er wuchtete das Oberteil des Schranks aus dem Fenster, das Holz zersplitterte unten auf der Strasse, es war ein Riesenradau.

“Du bescheisst mich nicht! Du nicht!”

Die Nachbarschaft stand vereint hinterm Fenster, und der kleine Timmy, Babsis Pinscher, schiffte aus lauter Angst auf den Teppich. Rasend vor Wut riss Rene die Haushaltsschere aus der Besteckschublade, trennte das vollgeschiffte Rechteck aus dem Teppichboden und klatschte es mit Gebrüll gegen die Küchenwand. Ein Vorgang, den er so oft wiederholte, bis die Tapete nur noch ein Pinscher-Pissfleck war und sich löste.

“Rück die verfickte Kohle raus oder ich fackel dir die Hütte unterm Arsch weg!!”

Der kleine Timmy hatte sich längst wimmernd unters Schlafzimmerbett verkrochen, als Babsi ihrerseits nach der Haushaltsschere griff und auf Rene zustürzte. Damit hatte er nicht gerechnet. Das dicke Telefonbuch Wuppertal-Solingen-Remscheid vorm Bauch flüchtete er rückwärts die Treppe runter, verlor das Gleichgewicht und fiel mit einem gewaltigen Aufschrei die letzten Stufen runter. Er blutete wie Sau, die Nase war gebrochen. Babsi nahm den kleinen Timmy und ein paar Gramm Schore und flüchtete über den schreienden Rene hinweg.

Als Minuten später die von Nachbarn alarmierte Polizei eintraf, konstatierten die Beamten Gefahr in Verzug und ordneten eine sofortige Hausdurchsuchung an. 14 Gramm Heroingemisch wurden festgesetzt sowie 370 Mark Bargeld in abgegriffenen kleinen Scheinen. Sowohl Babsi als auch Rene kamen nur deshalb mit Bewährung davon, weil sie zuvor unbeschrieben waren.

“Und warum das alles? Bloß, weil ich einmal morgens schlecht gelaunt neben einem Kerl wach wurde, der mir auf den Sack ging”, ächzte Babsi, als sie mir im Tchibo die Geschichte erzählte, von A bis Z. Sie sah blendend aus. Sie war schon seit Jahren clean. Ich fand sie gut.


Viewing all articles
Browse latest Browse all 6060

Trending Articles