Manchmal, wenn ich bei meiner Oma, deren Namen ich nicht kannte oder vergessen hatte ("Namenlos"), zu Besuch war, las ich in der Nacht die Bücher, die auf einem Regal über dem Klappbett standen, wahllos, (vor-)urteilsfrei, bis zum - gelegentlich - bitteren Ende. Ich las sie, weil es "Erwachsenenbücher" waren, Bücher mit "Stellen" und unbegreiflichen Worten, sonderbar beschriebenen Handlungen und Gefühlen, keineswegs bloß, aber auch wegen der Aufklärung über die Triebe und die Liebe. Die waren anders dargestellt als in den Heften, die ich bei der anderen Oma unter der Spüle fand ("Der heißblütige Baron im Stübchen"). Ein Satz aus einem Roman von Hugo Hartung (dessen bekanntester wohl "Ich denke oft an Piroschka" ist, den ich aber nie las, sondern nur in der Verfilmung mit Liselotte Pulver im Fernsehen sah) setzte sich fest: "Keine Hülfe für Vera."
Ich weiß nicht, warum der mir heute morgen wieder in den Sinn kam. Ich lese gerade von der "unpässlichen Frau". Das kommt in Romanen (der Männer) nicht vor. Andererseits: Immer ist die oder eine Frau "irgendwie" unpässlich. "To make a pass" sagen die Briten. Zwanghaft muss diese oder jene bis ca. 1900 sich unpässlich gerieren, um dann eventuell doch passieren zu lassen. Unpässlichkeit. Im Deutschen lässt sich (fast) alles wunderbar nominalisieren. Der Pass ist zugeschneit (Rotes Blut im weißen Schnee?). Muss er freigeräumt werden? Passgenau: Passt mir nicht. Ein Menschenrecht auf Migräne? Noch viel mehr Unpassierbarkeit generieren! Heterosexuelle Männer (auch Frauen-Ärzte, wie ich gerade lese) beziehen das auf sich. Suchen nach Pass-Öffnern. Wörtern und Werkzeugen. Die unpässliche Frau blutet. Hysterisch. Nur bis ca. 1900, dann wird der Eierstock ursächlich entdeckt. Das half aber auch nichts. "Keine Hülfe!" (Ich weiß, dass die Menstruation konstruiert ist.)
"Keine Hülfe für Vera." In Hugo Hartungs Buch ist Vera eine baltische Adlige, die emigriert. "Die deutsche Frau raucht nicht." Vera schon. Vera emigriert, der Protagonist und Ich-Erzähler bleibt im Nazi-Deutschland. (In der BRD sollte das "innere Emigration" genannt werden.) Sein Mitschüler Bruno macht Karriere - in "der Partei" und später in der Bonner Republik. Ich kann mich nicht einmal mehr erinnern, was aus Vera wird, ob der schlichte Hans sie nach dem Krieg noch einmal trifft. Ich habe dieses Buch nie wieder gelesen. Meine Erinnerungen sind unscharf. Nur dieser Satz blieb und das Bild: Vera auf einer Leiter im Schlafwagenabteil. "Keine Hülfe." Vera verlässt den unmodernen Roman. (Lesen Sie diesen Satz metaphorisch.) Er, der Satz "Keine Hilfe für Vera". taucht auf, wenn ich traurig bin, so grundlos und vage traurig, dass sich diese Haltung bei mancher und manchem den Namen "Melancholie" verdient haben mag, eine Bezeichnung, die aber ich nicht als treffend, sondern als euphemistisch empfinde, verleiht sie doch der sinnentleerten und verzagten Selbstbeschränkung und -entsagung ein pseudo-erkenntnisschaffendes Gewand. Was nix ist, soll auch zu nix werden. (Frei nach Wittgenstein :-) )
Wahrscheinlich liegt alles an den Hormonen. (Grüß Euch, Wechseljahre!) Müde bin ich, kann nicht ruhen. Es umgibt mich ein wattiger Kokon aus billigem Selbstmitleid, an dem alles abprallt wie an einer getunten Stoßstange. Dabei geht´s mir gut. Alles gelingt. Selten so gelacht. Schaut eine bis an den Grund? Hinter den Augen sind die Höhlen leer. Jetzt betäube ich mich noch mehr. Dazu brauche ich gar keine Drogen.
Frank Schirrmacher ist tot. (Heute morgen am Arbeitsplatz: Keine und keiner hatte je von ihm gehört.) Die WM ist eröffnet. Gotteskrieger erobern den Irak. Nichts hat mit gar nichts zu tun. Oder: Alles mit allem? Ich kann kein Interesse aufbringen und keine Interessenten mehr suchen. Deshalb: Selten habe ich besser funktioniert als heute. Getränkevorräte müssen aufgestockt werden.
Herrlich erhebt sich blau der Horizont. So ducke ich mich besser weg: Wenn die Frau unpässlich ist, müssen WIR ran. Das Blog ist tot. Es lebe das Bloggen. Nur soviel: Am wenigsten weiß ich, wem ich etwas vormachen will. Der Anderen geht es gut. Was wahr ist, kann es nicht bleiben.