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in|ad|ae|qu|at : Trivia & Ephemera : Zündholzbriefe 6

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zündholzbriefe

||| ANDERE ARCHIVE | VILLIGERS “RIO 6″ | NUMBER 6 | BACKLIST ZÜNDHOLZBRIEFCHEN

ANDERE ARCHIVE

Wie wir mehrmals ( etwa in den Vorworten zu “out of the box” ) dargelegt haben , hüten wir in|ad|ae|qu|at verschiedene archivalische Korpora , die uns als Spielmaterialien dienen : so die etwa 200 , in einem Plasticsack in einer alten Wiener Wohnung gefundenen , Bild- Postkarten aus den 20er Jahren , eine Sammlung von etwa 100 Filmstills aus einem damals noch privaten Filmarchiv , die auf Flohmärkten zusammengekauften anonymen Familienbilder ( während wir sämtliches privates Familienbildmaterial in einer Art Autodafé vernichtet haben ) und die dem Tandler um zwei Euro abgekaufte Sammlung von vielleicht 200 Zündholzbriefchen , welche ein Sammler kompakt und praktisch – penibel in gleiche Richtung sortiert – zurückgelassen hat .

Mit dieser zwar nicht sehr umfangreichen , indes ästhetisch und phänomenologisch äusserst evokativen Sammlung halten wir es so , dass wir uns verbieten , das Material prima vista durchzusehen und im Vorfeld des Schreibens die Motive zu registrieren , welche die Zündholzbriefchen als Medium der Reklame von verflossenen Attraktionen , Veranstaltungen , Lokalitäten und Marken dokumentieren .

Nein : Wir nehmen jeweils nur ein Briefchen heraus , betrachten es eingehend und schreiben dann mit dem Drive der frischen Entdeckung ein paar Assoziationen und Szenen auf . Wir haben damit absichtlich keine Ahnung , was die Sammlung in petto hat .

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VILLIGERS “RIO 6″

Offenbar gibt es sie noch heute : die vom Schweizer Zigarrenhersteller Villinger ( seit 1888 ) erzeugten Rauchwaren , die unter dem Titel “Stumpen” figuriert : einer Kleinzigarre , die — an beiden Enden beschnitten – - in handlichem Zehnerpack angeboten wurden . Wobei diese “Stumpen” (  ”Rössli ~” ) einen deutlich dickeren Querschnitt haben als ein Zigarillo . Es dürfte wohl der allmählichen Verdrängung der Zigarre durch die Zigarette geschuldet sein , dass die Tabakwarenhersteller diese abgespeckte Form der Zigarre unters Volk brachten .

Somit waren die Stumpen als Zigarren des Kleinen Mannes-  im Unterschied zur herkömmlichen Zigarre der besseren Kreise – eine sehr schweizerisch- demokratische Erfindung . Im Unterschied zur Gross- Zigarre , waren z. B. die “RIO 6″ mit ihren zehn Stück Stumpen ein Convenience- Produkt avant la lettre : kein betuliches Anschneiden mehr , keine zeremonielle Entzündung , sondern ein ready- made to smoke on the spot . Oh doch , eine Gemeinsamkeit verbindet die grossen wie die kleinen Zigarren : nämlich dass man die erkalten Rauchobjekte noch stundenlang im Mundwinkel hängen lassen konnte .

Der 2. Weltkrieg brachte der “RIO 6″ einen sensationellen Erfolg und dies wohl nicht nur , weil die Packung perfekt in die Patronentasche der Schweizer Armee passte . Nebeneffekt war , dass die “RIO 6″ als typisch männliche Rauchware galt . Oder wie es das Cigar Journal im Hinblick auf die schweizerische Identität formuliert :

Während der beiden Weltkriege verkörperten die Villiger-Stumpen den Widerstand der Eidgenossen. Die RIO 6, eine kleine Zigarre, deren Packung genau in die Patronentasche der Soldaten passte, wurde zum revolutionären Symbol des wehrhaften Schweizers.

Als der Absatz des Stumpens nach dem Krieg deutlich abstürzte , gingen ihre Hersteller in die Werbe-Offensive und lancierten das Image eines dezidiert “männlichen Produkts” : “Männer rauchen Villiger” , hiess es just 1969 , als die Korrosion der Geschlechterrollen begann .

1972 apellierte man sportive Automobilisten mit einem sehr sinnigen Stilleben : “für unterwägs” und als kommode Ergänzung des Reiseproviants . Ein Motto , das sich übrigens auch auf der Aussenseite unseres Zündholzbriefchens findet .

( 1969 )

( 1972 )

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NUMBER 6

Der Stumpen bzw. die “RIO 6″ als Attribut des Männlichen tritt auch auf unserem Zündholz- Briefchen ( 50er oder 60er Jahre ? ) hervor : Der Gentleman mit Stumpen , welcher der Dame galant einen aufgespannten Regenschirm überhält . Womit der RIO- Raucher eventuellen Krisensituationen und der Macht der Elemente ( Regen ) souverän trotzt und sich zugleich dem Weibchen gegenüber als unverzichtbar darstellt .

Was hat es aber es mit dem Namen “RIO 6″ auf sich ? – Aus Schweizer Perspektive mochte wohl Rio de Janeiro als Sehnsuchtsort herhalten , doch bezog sich der Name auf Pinar del Río , der angeblichen Tabakhauptstadt Cubas  , von welcher die Villigers grössere Kontingente an Tabak bezogen . Die Stumpen selbst wurden indes nicht auf den nackten Schenkeln schöner Kubanerinnen gerollt , sondern daheim in der Schweiz industriell hergestellt .

Das basale Design der Packung – rot schwarze Lettern auf weissem Grund – könnte ein bisschen an die frühe “Lucky Strike” erinnern ; vor allem aber akzentuiert sie , dass es keinen schmückenden Firlefanz brauchte , um eine Rauchware für den Alltag anzubieten . Heute ist selbstredend auch die “RIO 6″- Verpackung durch die Höllenformeln des Nichtraucherschutzes verunziert . Auf der Villiger- Homepage gibt es zwar nette Filmchen z. B. zur “Identität” des Familienunternehmens , doch keinerlei Hinweis auf die “RIO 6″ .

Womit wir auch schon bei der Heimseher- Frage sind :

Worauf bezieht sich die Ziffer 6 ?

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BACKLIST ZÜNDHOLZBRIEFCHEN

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