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Gleisbauarbeiten : AUFSTAND GEGEN DIE WILDNIS (Ein Traumbild)

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Ob wir uns darin unterscheiden oder gleichen, ahne ich nicht einmal. Der Garten taugt mir wie kaum etwas zur Metapher. Damit bin ich weder allein noch originell: Hortus conclusus. Doch kann ich das Geständnis an dieser Stelle nicht vermeiden, dass ich nicht gärtnere. Nie.

***

Ich erwachte unter einem Baum. Noch im Erwachen erinnerte ich, wie selbst im Traum das sanfte Schaukeln der Blätter im Licht im Sekundentakt den Charakter der Szenerie verändert hatte. Nicht grausam indes oder beängstigend, sondern sanft, weich, als Zeichen für den gleitenden Wechsel, das sanfte Hineinwachsen in ein Anderes, das ich ersehnte.

Im Traum hatte ich deine Berührung gefürchtet. Ich wusste, wie leicht die kaum sichtbaren goldenen Haare auf meinen Schenkeln, der zarte Flaum unter meinen Achseln oder gar die zärtliche Wölbung meines linken, fest verwachsenen kleinen Ohrläppchens deine Aufmerksamkeit, dein Begehren erregen konnten. Deine Hand, die nach meinem Fußgelenk greifen könnte, nicht fesselnd zwar, noch nicht, aber in Besitz nehmend - wie hätte ich mich dagegen wehren können? Ich wollte mich nicht sehen lassen vor dir, deshalb. So schmiegte ich mich tiefer in die Kuhle des Feldes und bedeckte mich mit Erdkrumen.

Ich war nicht nackt, selbstverständlich nicht, sondern in meinem schwarzen Badeanzug aus dem See gestiegen, hatte im Gegenlicht gestanden, das Wasser abschüttelnd, glitzernde Tropfen fielen zurück wie ein ganz kurzer Sommerschauer. Meine Sohlen wurden dunkelbraun von den wenigen Schritten, die ich hinaustrat aus dem Schatten, der den Waldsee umgab, ins freie Feld. Der hiesige Boden ist karg und sandig, nicht zu vergleichen mit der öligen Erde meiner Heimat.

Woraus schloss ich, dass du nach mir suchtest, an diesem Morgen? Ich hörte das Laub unter deinen Füßen rascheln, lange bevor du dich hinter den Büschen verbargst. Du willst mir nur zuschauen, weiß ich, mich nicht überfallen. Dennoch musste ich ein Zeichen setzen, das du verstehst. Wie ich mich der Erde anvertraue, dass wird dich lehren, deine Hände von mir zu lassen.

Der Apfelbaum, unter dem ich erwachte, nachdem ich mich zur fruchtbaren Scholle geträumt hatte, bildet den Mittelpunkt eines prächtigen Bauerngartens. Hoch reckt sich der Rittersporn am Zaun, Blaukissen rahmen die Schotterwege, Löwenmäulchen recken ihre Häupter, Ringelblumen locken die Bienen an und rechts von mir blüht der Lavendel. Ich sitze auf meiner Bank und strecke die Hand nach ihm aus, um den Geruch aufzunehmen, mit dem ich mir durchs Gesicht fahren werde. Links sind in Reih und Glied die Möhren, der Kohl und die Bohnen angebaut. Gerade aus sehe ich zum Gartentor, das rosafarben und üppig die Kletterrosen umranken. Dahinter: das Nichts.

***

Als ich jünger war, dachte ich immer, ich könnte morgen anfangen: zu pflanzen, Klavier zu spielen oder zu tanzen. Heute habe ich Mühe, die wilden Brombeeren zurückzuschneiden. Ich wollte säen, aber ich schaffe es nur noch zu stutzen, bevor ich überwuchert werde. Ich gärtnere nie. Aber ich genieße die Früchte der anderen. Und sehne mich mehr und mehr nach der Frau mit dem grünen Daumen.


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