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in|ad|ae|qu|at : OUT NOW: idiome # 7

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Literaturzeitschriften

idi007

DISCLAIMER

(czz) – gegründet 2007, hatten sich die idiome von anfang an einer neuen prosa verschrieben, einer prosa mithin, welche keine geschichten erzählt und keine romanfiguren als identifikationsangebote aufwies.

anders, als dies in puncto “lyrik” der fall ist, wird – noch heute ! – jedweder prosa ein narrativer genuss- und gebrauchswert zugemutet. der mit viel aufwand propagierte “deutsche buchpreis” setzt symbolisch zwar auch komplexere werke auf die longlist, um bei der schlusskür regelmässig den weg des geringsten widerstandes zu wählen: topiken und themen, die dem zeitgenossen angeblich umso mehr an- und eingehen, als die erzählweise eine traditionelle ist.

solche und ähnliche mechanismen werden durch die experimentellen texte, welche die jährlich erscheinende zeitschrift / anthologie idiome präsentiert, konterkariert. einerseits. anderseits lässt es sich herausgeber Florian Neuner nicht nehmen, in einem vergleichsweise umfangreichen “editorial” scharfsinnig und-züngig auf begebenheiten und gegebenheiten im aktuellen prosa-betrieb zu reagieren.

und dies ist selten: nämlich dass hier einer der avancierte literatur sammelt, herausgibt und auch selbst produziert, stellung bezieht hinsichtlich von worten, werten und werken des mainstream (selbst des gehobenen). womit die zeitschrift – da sie zeitzeichen in diskurs, hypes und texten diagnostiziert – zu einer wichtigen quelle wird hinsichtlich des historischen indexes von diskursen, debatten und von darlings der (all)gemeinen rezeption.

nicht selten führt Neuner diese beobachtungen im blog “neue prosa” fort. mitnichten dient dieses blog als werbemittel oder “verstärker” der gedruckten zeitschrift, sondern nimmt weit darüber hinausgehend manches aktuelle kritisch aufs korn.

was aber die idiome besonders auszeichnet, ist ihr undogmatisches “beispielgeben”, welches sich nicht auf sog. “aktuelles” (oder gar “junges”!) beschränkt, sondern durchaus auch exemplarische textprojekte älteren datums vorstellt.

dies ist um so informativer, als es nicht viele dieser texte je in druck- und buchform “schaffen”, so sie nicht – angenommen sie erscheinen als buch (oft in einem klein- und / oder autorenverlag) – von der rezeption nicht einmal ignoriert werden.

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Florian Neuner (Hg.): idiome. hefte für neue prosa. ausgabe #7 – wien: klever 2014

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EDITORIAL

Dieses-Scheiß-Kunstlicht von-der-Saline-draußen (auch ärarisch) hat mir weitere Gedanken- vorm-Einschlafen wieder verdrängt. Ich schreibe trotzdem aus Verpflichtung dem halbbewußten Gedankenflattern jener Welt gegenüber, die alles auf ein Maß gestutzt haben will, während ich immer wieder Beweise für alles Mögliche& unwahrscheinlich Denkbare erbringen möchte. Inzwischen Festgeschriebenes. – Walter Pilar

Die poetologischen Gespräche, die regelmäßig in den IDIOMEN erscheinen, pflege ich Werkstattgespräche zu nennen. Konzepte, Strategien, Überlegungen zur Produktion von Prosa, der Zeitgenossenschaft auch ästhetisch eingeschrieben ist, sind Gegenstand dieser Gespräche, bislang mit Jürgen Link, Peter O. Chotjewitz und Jürgen Ploog .

Im Falle Walter Pilars freilich ist die Rede von der Werkstatt mehr als eine Floskel. Ich durfte mich einen Tag lang tatsächlich in ihr aufhalten, und Pilar gab Einblicke in ein work in progress, dessen Genese auch nach zwei Dezennien prekär bleibt, inner- wie außerästhetischen Anfechtungen ausgesetzt. In seinem auf mehrere Bände angelegten Lebenssee-Projekt ficht Pilar literarisch aus, was es bedeutet, an einem autobiographischen Stoff auf dem Reflexionsniveau der Neoavantgarden zu arbeiten. Vieles steht dann in Frage, und Pilar nimmt diese Fragen ernst, mitunter verzettelt er sich dabei. Auch heute kann er nicht sicher sein, wohin ihn die Lebenssee-Wellen noch spülen werden. So ein Projekt bringt seinen Autor auch lebenspraktisch-ökonomisch in die Bredouille, wovon Pilar in einem in diesem Heft abgedruckten Tagebuch-Text ganz offen spricht. Das erfordert Mut im heutigen Literaturbetrieb, wie es auch Mut erfordert, von Zweifeln und Sackgassen zu sprechen, wo alle immer schon zu wissen vorgeben, wohin sie steuern.

Zwischen den Korrekturen zu dieser Ausgabe der IDIOME treffen Mails ein, in denen sich ein Kollege darüber ärgert, welchen Stumpfsinn Maxim Biller gerade wieder verbreitet – oje, das ist der Autor, der seit 20 Jahren eine flott erzählte, peppige Literatur fordert, die er offenbar selbst nicht schreiben kann. Biller entblödet sich nicht, in der Zeit mit der vollkommen sinnfreien, weil unbeweisbaren These hausieren zu gehen, Deutschlands Migranten würden die eigentlich relevante Gegenwartsliteratur schreiben können, wagten das aber aufgrund des literaturbetrieblichen Anpassungsdrucks nicht.

Das ist ähnlich plausibel wie die Behauptung, Daniel Kehlmann wäre bestimmt die wichtigste Stimme der experimentellen Lyrik, wäre er nicht dazu gezwungen, den Erwartungen seiner Agenten zu genügen. Eine andere rezente “Literaturdebatte” dreht sich allen Ernstes um die Frage, ob die deutschsprachige Literatur unter der bürgerlichen Herkunft der Mehrheit ihrer Protagonisten leide – als befänden wir uns in der DDR der fünfziger Jahre.

Einmal mehr stellt sich angesichts des Niveaus solcher Debatten die Frage: Wo steigt man ein, wo besser wieder aus? Was identifiziert man als das mediale Dauerrauschen, das man – nunja, doch besser an sich vorbeirauschen läßt? Wo wird es eventuell gefährlich? Kann, ja möchte man eigentlich mit Leuten diskutieren, die Wolfgang Herrndorf für einen bedeutenden Schriftsteller halten und sich auf vielen Feuilleton-Seiten mit Helene Hegemann auseinandersetzen? Gescheiter ist es sicher, seine Zeit anders zu nutzen.

Ärgerlich allerdings wird es, wenn Maxim Biller von “irrelevanten Sprachexperimenten der Retro-Avantgardisten” schwadroniert und dabei offensichtlich auf das Einverständnis nicht nur der Zeit -Leser setzen kann. Woher mag der Schaum vor dem Mund kommen, wenn solche Leute von der marginalisierten Literatur-Avantgarde schwafeln, die sie vermutlich weder kennen noch begreifen würden?

Ob hier die Ahnung aufblitzt, daß sie zu faul, zu unbegabt oder zu feige sind, um in der eigenen Arbeit auf die Ebene zu gelangen, auf der es beginnen würde, um Literatur zu gehen? Auch

Sabine Hassinger schlug eine fast beängstigende Welle an Unverständnis und Herablassung entgegen, als sie auf dem Klagenfurter Bachmann-Podium 2012 aus ihrem umfangreichen Prosa-Manuskript Die Taten und Laute des Tages las, das ausszugsweise in den IDIOMEN vorstellen zu können ich mich sehr freue. Es handelt sich um einen vielstimmigen Text, in dem mehrere narrative Ebenen kunstvoll und ohne aufdringlichen roten Faden ineinander geführt werden. In den achtziger Jahren hätte ein Literaturkritiker damit wahrscheinlich noch umgehen können. In Klagenfurt aber fiel einer der unsäglichen Jurorinnen zu dieser Prosa gleich die Literatur von Patienten des Landeskrankenhauses für Psychiatrie und Neurologie in Gugging ein, während eine Kollegin vom “Zeitmanagement” faselte, das es ihr nicht erlaube, sich mit komplizierter Literatur überhaupt erst zu befassen. Was hätte die versammelte Inkompetenz wohl gesagt, wenn Ingeborg Bachmann in der von ihr gehaßten Stadt aus Malina gelesen hätte?

Wer im Jahresrhythmus 100 der Neuen Prosa gewidmete Seiten erscheinen läßt, der kann vieles nur andeuten und versuchen, Hinweise zu geben. Von dem weithin unbeachteten bedeutenden Buch Die Freuden der Jagd von Ulrich Schlotmann war an dieser Stelle schon die Rede. Es kann nicht wundernehmen, daß der Diskurs über derlei ästhetisch herausfordernde Werke außerhalb der Universitäten beginnen muß.

In Sebastian Kiefers Schlotmann-Text verbindet sich auf höchst anregende Weise ein philologisch gewissenhaftes close reading mit einem meinungsfreudigen Essayismus als Plädoyer für Sprachkunst in Abgrenzung zur von Kiefer sogenannten Mehrheitsliteratur – ein Fingerzeig, womit sich eine zeitgenössische Literaturwissenschaft zu beschäftigen hätte.

Hermann J. Hendrich wiederum ist mit der erweiterten Fassung eines Textes vertreten, den er am 12. April 2013 in der Künstlervereinigung MAERZ in Linz vortrug, im Rahmen der einmal im Jahr den IDIOMEN gewidmeten Ausgabe der “linzer notate”.

Berlin 2014
Florian Neuner

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INHALT HEFT # 7

  • Florian Neuner/Walter Pilar: “Welt kommt ja so daher!” Ein Gespräch in der Lebenssee-Werkstatt
  • Walter Pilar: Müchhoin
  • Walter Pilar: Links & rechts vom Donautal bei L. Tagebuch vom 11. 12. ’13
  • Hermann J. Hendrich: Was könnten wir denken?
  • Sebastian Kiefer: Der heitere Untergang des Erzählers im übermächtigen Material. Erzähltrieb, lyrische Verdichtung und Montagelust in Ulrich Schlotmanns Die Freuden der Jagd
  • Konstantin Ames: Tage, da letztmalig geweint wurde
  • Jörg Burkhard: KRONEN DER SCHRÖPFUNG
  • Wolfram Malte Fues: Skepsis
  • Zsuzsanna Gahse: Zunächst einmal
  • Egon Günther: mischwesen
  • Sabine Hassinger: Die Taten und Laute des Tages
  • Annette Hug: Innernord
  • Urs Jaeggi: so weit so (I)
  • Johannes Jansen: Traum des Katalysators von der Weltherrschaft
  • Stefan Schweiger: totem: 10 perspektiven
  • Robert Stähr: Plattform eins: Lektüre
  • Waldemar Franz Rösch: Zeichnungen

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DER HERAUSGEBER

Florian Neuner @ in|ad|ae|qu|at

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GENANNTE AUTOREN @ in|ad|ae|qu|at

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