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weg mit zehrung: ÖNB, UB usw.
ZEIT BRAUCHEN
es ist wie zu zeiten, als wir uns einbildeten, die täglichen wege zur uni-, dann zur nationalbibliothek unbedingt mit dem fahrrad bewältigen zu müssen. wo doch beide geistige wellness-adressen doch bequem per zwanzig (laut google earth: vierzig-) minütigem spaziergang locker erreichbar waren.
also den kanal entlang rollen, womöglich die sonst unmerkliche steigung vor dem goethe-denkmal am ring überwinden, schliesslich das sperrige, schwere ding anketten. mit dem effekt, bereits zehn minuten vor der öffnung der bibliotheken dort angekommen – indes allerdings geistig noch keineswegs organisiert – zu sein.
ganz offensichtlich bedurfte es raum und zeitlichkeit des gehwegs, um auch dem hirn raum und zeitlichkeit zuzugestehen. in diesem fall: prioritäten für die (damals noch offline-) bücher-anforderungen zu setzen und diese in mehrfachem hin- und her-laufen zwischen den bibliotheken zu elaborieren. beiläufig natürlich auch: die – meist karge – ausbeute vor ort durchzusehen, wenn nicht gar: zu lesen.
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ANN COTTEN: LOB DES UM-WEGS
eben hat Ann Cotten im logbuch (dem seit november 2013 lancierten suhrkamp-blog) ein plädoyer für die umständlichkeit, für den umweg und damit auch für perzeptive ineffizienz formuliert. mäandernd, lobt der text nicht nur die kunstformen von digression und dis-cours, sondern inszeniert diese auch wort-wörtlich. ein verwinkeltes böhmisches dorf also für jene schnell-schluss-und-schluss-redner, wie man sie im vorauseilenden feuilleton, auf podien, in medienwirksamen jurys (injurien ?) setzt und schätzt.
[siehe übrigens auch das forum für strategische langsamkeit im "literaturhaus am inn": SLOW READ als eine dem tranigen SLOW FOOD weithin überlegene bewegung. - - - warum überlegen ? (vorsicht: doppelsinn.) - - - die ergebnisse (besser: der prozess) eines close reading lassen sich - anders als stubenküken-brüstchen aus wiener wok-stätten, waldviertler schweinebäuche oder retro-edel-hausräte - nicht kaufen. da musst du schon selber durch.]
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ARM ABER SAUBER
zugleich spreizt sich Cotten gegen die offenbar landauf- und landabläufige meinung, eine gewitzte, intelligente und wache literatur könne nur unter bedingungen prekärer existenz, wenn nicht gar unter lebensumständen an der armutsgrenze gedeihen. literarische leidenschaft, die authentisch nur dann scheint, wenn sie trivialerweise leiden schafft. ganz dem afterromantischen künstlerbild gemäss. ja, Cotten nennt gar drei Autoren (m/f) unseres in|ad|ae|qu|aten SALON:
Ich habe einige Verdachte gegen diesen geradezu kokett konstruierten geistigen Vitalismus, der dem dämlichen Kausalismus, man solle es den Autoren schlechter gehen lassen, damit sich die Literatur verbessere, nicht fern genug steht. (Den Autoren! Als teilten sie alle Förderung schwesterlich untereinander, zu dem Zweck, sich in ihren Nestern wie in Reihenhäusern zu langweilen! Als würde nicht der Markt gerade die langweiligsten Autoren begünstigen, während denen, die wirklich aufregende Literatur schreiben (ich sage nur: Ulrich Schlotmann, Brigitta Falkner, Petra Coronato!), materielle Existenzschwierigkeiten natürlich tatsächlich massiv die Arbeit behindern. Was denn sonst? Gibt es je eine Mehrheit mit Geschmack? Aber damit Armut das Leben schlichter machte und konzentrationsfördernd wirkte, wie schon in der Antike landgutgesegnete Philosophen zu schwärmen liebten, müsste sich erst ändern, dass in unserer Gesellschaft jeder augenscheinlich Nicht-Erfolgreiche wie ein Schreckensemblem gemieden wird, man gibt ihnen ungern, was man Reicheren kavalierhaft schenkt, wahrscheinlich in der unklaren Annahme, man bekäme irgendwas zurück, was unwahrscheinlich ist, woher kommt der Reichtum wohl, etwa von einer Ethik des Zurückgebens? Aber Quatsch: deswegen sind ja traditionell die Schichten segregiert, nach unten gibt man nichts her, und oben herrscht eine streng bürgerliche Verbrecherehre.)
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WAS SICH RECHNET
rechnen wir aber durch, wie viele lese-kilometer wir auf der schiene des (gehobenen) mittelfeldes von “aktueller”, indes kreuzbraver erzählender literatur zurücklegen und dabei immer wieder infolge jäher wutausbrüche entgleisen; rechnen wir aber durch, wie viel energie uns der ärger über die paar mehlig verstaubten motive kostet. rechnen wir schliesslich durch, wie oft wir uns regelrecht düpiert fühlen: für wie blöd verkaufen diese bücher uns leser (m/f) eigentlich, wenn sie ihre prosa mit oninösen tages-, jahreszeit- und wetter-motiven möblieren ?
dann, so kommen wir zu resultat und zum schluss: lese man lieber Theodor Fontane oder gar: Gustav Freytag. hier kann man mindestens den grad der aufmerksamkeit hinsichtlich der literarischen mittel nach belieben skalieren.
selbst die lectio difficilior kann ebenfalls nur bedingt als ultimativer wert gelten. auch wettbewerbsmässig betriebener feinsinn kann mit unlustigen twists und zwirbeln einigen flurschaden anrichten.
auch dieser inszenierte umweg würde kaum begangen, gäbe es nicht eine immanente verheissung von -”rentabilität”. soll und haben eben.
Ann Cotten plädiert in ihrem essay für die einbeziehung des faktors “kontingenz” in unsere wahrnehmung der dinge. bzw. und mit Christian Steinbacher formuliert: ein pro “für die beweglichkeit“:
Ich könnte vielleicht präzisieren: Ich warne davor, sich das Denken einzurichten wie eine bequeme Wohnung und sich darauf zu verlassen, dass die Sachen wirklich da sind, wo man sie sich einbildet.
also: machen Sie umstände !
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