Quantcast
Channel: litblogs.net - aktuell
Viewing all 6060 articles
Browse latest View live

Die Dschungel. Anderswelt. (Alban Nikolai Herbst / Alexander v. Ribbentrop) : Einundzwanzigster Brief nach Triest. (Briefe nach Triest, 24).

$
0
0

Siehst Du, Elbe,
Arbeitswohnung, den 11. Dezember 2014,
7.25 Uhr am Donnerstag,
Roland Dahinden, silberen und lichtweiß
für Klavier und Streichquartett (1999),

wie spät ich heute aufgestanden bin (für m e i n e Verhältnisse spät)? Es war ein solcher Triumph! Denn gestern nacht dachte ich, nachdem der Freund hiergewesen ist und wir lange über je uns und die Frauen gesprochen hatten - „Wunderbar roch meine Hand, als ich aus dem Würgeengel heimfuhr“ (zweites Treffen mit seiner neuen Bekanntschaft) - und ich hatte wieder und wieder von Dir erzählt, nun, ich dachte, ganz plötzlich, ja: Wenn sie mir nun schon in solchen Visionen erscheint, dann muß es doch möglich sein, willentlich von ihr zu träumen, also daß ich meinen Traum ganz so zu gestalten vermöge, wie man ein Buch schreibt, bei welchem Prozeß sich einzelne Szenen freilich nicht wirklich bestimmen lassen, sondern sie steigen aus dem Fluß des Erzählens auf: Viele hat man zuvor nicht gewußt. Dies unterscheidet poetisches Arbeiten grundlegend von zum Beispiel der Stoffentwicklung für Fernsehserien oder Unterhaltungsromane; dort wird alles, nicht selten im Team, geplant: Was wissen wir, daß die Zuschauer es sehen möchten? Deren Bedürfnissen produzieren wir z u. Man schaut sich Markterhebungen an, aufgrund etwa von Meinungsumfragen, oder schließt aus Einschaltquoten und Verkaufszahlen. Ah! Fantasy ist angesagt... Vampire stehn derzeit besonders in Gunst, besonders jugendlicher Leute, lauter Morgensgrauensbisse... So wird den Affen dann Zucker gegeben oder den Kühen, die man dann melkt.
Das sollte, als Ansatz, nicht auch bei mir funktionieren? Was ich aber genau träumen wollte, das ließ ich mir außer der Vornahme frei, es solle für mich gut sein. Insofern sprech ich eben, Geliebte, von einem „Ansatz“. Das Besondre dabei, wenn es, dachte ich, gelingen sollte, wäre, daß Du selbst davon nicht behelligt würdest, Du als die reale Person, die Du fern von mir bist. Sondern in mir entstünde eine Sìdhe noch hinzu, die dennoch genau wie Du sein könnte. Ich würde die Wirklichkeit einfach in zwei getrennte Welten spalten, in deren eine Du bei Deinem Mann bliebest, in deren anderer aber bei mir, ohne daß eine intensiver wäre, geschweige weniger wahr, als die andre.
Das eigene Träumen bestimmen... Dennoch sich überraschen lassen... : Dies unterscheidet mein Unternehmen von der Plot-Entwicklung, nähert es dem poetischen Arbeiten wieder an. Auch da steht eine Idee am Beginn, doch was aus ihr wird, überläßt sich dem Fluß.
Ich nahm mir also vor, auf jeden Fall auszuschlafen, mich jedenfalls nicht schon vier Stunden später wieder wecken zu lassen. Es war schließlich kein Verlaß darauf, wann mein Du-Traum einsetzen würde, deshalb vor allem nicht, weil alle meine sonstigen Träume von Dir mit meiner Trauer zu tun gehabt hatten, die ich nun grade abstellen wollte, wenigstens erst einmal jetzt, versuchshalber, in dieser neuen Nacht. D a ß er, der Traum, einsetzen würde, dessen war ich freilich gewiß.
Ich gebe zu, die Gewißheit war eine hergestellte; ich redete sie mir ein, bis ich sie glaubte. Leg dich jetzt hin, dachte ich, und warte auf die Tür. Wenn sie sich zeigt, öffnest du sie, ohne zu zweifeln.
Sie zeigte sich. Was mich überraschte, war, daß mich ein Klingeln zu ihr rief, also die früher so genannte Glocke, oder Schelle, mit denen Besuch auf sich aufmerksam macht. Ich schreckte davon hoch, sah kurz zur Uhr, achtzehn Minuten nach zwei in der Nacht. Wer läutet denn da noch? Da muß was Schlimmes passiert sein. Vielleicht aber hat nur ein Nachbar seinen Schlüssel vergessen und kommt nicht ins Haus -
Ich schlafe, wie Du weißt, nackt, und auch im Winter steht das Oberlicht weit offen. Schon deshalb zog ich mir im Flur den Hausmantel über, drehte mich zur Gegensprechanlage um, deren rotes Alarmlicht tatsächlich leuchtete, nahm den Hörer, fragte, wer da sei.
Keine Antwort.
Dennoch dückte ich auf den Knopf für den Einlaßsummer. Noch im selben Moment klopfte es an meiner Wohnungstür. Zaghaft, wie versuchshalber.
(Heute morgen denke ich, auch Du hast von mir zu träumen versucht und hast Dir ganz so wie ich diese Tür vorgestellt. So standen wir nun beide auf der je anderen Seite des aber selben Traums, und einer von uns mußte öffnen, damit wir von dort nach hier hinüberkönnten, gleich, ob ich zu Dir oder Du zu mir. Ohne diese Tür zu öffnen würde das nicht gehen.)
„Hallo?“ rief ich, zweidreimal sogar, allerdings stimmlos zuerst, dann die Stimme, sie gleichzeitig niederdrückend, gehoben.
Abermals keine Antwort, aber neuerlich Dein Klopfen.
Jetzt drückte ich die Klinke hinunter. Jetzt zog ich die Tür etwas auf. Jetzt fiel mein Blicken in Deines. Dabei war es dunkel im Flur, dessen Beleuchtung längst wieder aus.
(Jetzt sagtest Du, da bin ich. Jetzt sagte ich, dann komm doch herein.)
Wir waren beide verlegen. Ich meine, nach allem, was geschehen war!
Soll ich dir einen Latte macchiato machen?
Ein Tee wäre schön.
Ich habe immer noch von deinem Biotee hier. (Beutelchen in rosa umrandetem Heftchen: pukka revital).
Zimt und Kardomom? fragtest Du.
Ich nickte, mußte nicht einmal nachschauen. Das ist so in Träumen.
Und Ingwer, sagte ich.
Du lachtest Du und ergänztest, wärmend und kräftigend ( - als wärst Du Sprecherin einer Esoterik-Reklame! Das hatte wirklich etwas Bizarres).
Ich hörte bereits das Wasser blubbern: kochend im Kessel. Auch das i s t so in Träumen.
Dieser Morgenmantel steht dir gut.
Anstelle daß ich Dich fragte, ob Du nicht müde seiest, Dich mit mir zu mir hinlegen mögest, das Bett sei noch warm.
Nein, wir sprachen nur, unterbrochen von langen langen Momenten des Schweigens, in denen unsre Augen ineinanderlagen. Davon wachte ich schließlich auch auf.
Ich weiß nicht mehr, ob noch anderes geschah, nicht einmal, ob wir uns, Schönste, küßten. Es kann gut sein, daß ich Dir noch vorgelesen habe, ich hatte ja einiges herausgelegt, das wir, als Du hierwarst, nicht mehr geschafft hatten. So wahnsinnig voll sind diese vier Tage gewesen. Dabei wollte ich Dir die ganze erste Abteilung des >>>> Wolpertingers vorlesen und hätte Dich ungeheuer gerne bis in die >>>> Anderswelt verführt. Und aber auch von Dir, mit Deiner Stimme, die ihresgleichen nicht hat, mir vorlesen lassen: aus Deinen eigenen, seltsam sperrigen, doch dabei geschmeidigsten... ja, sind das Verse? Prosa hätte man früher gesagt. - Es war uns nicht genug Zeit.
Vier Tage, ich bitte Dich! Um ein Leben umzuentscheiden, z w e i Leben und die derer, die sie begleitet haben. Wie sollte das denn gehen?
Nun g e b ich uns die Zeit, geb sie uns im Traum.

(Claus-Steffen Mahnkopf, Pegasos für Cembalo, 1991.)

(8.57 Uhr.)
Der Brief einer Freundin erreichte mich. Da ich oft verletze, indem ich nicht antworte, schrieb ich deshalb sofort zurück; es ging und geht um diese Briefe, die derzeit insgesamt der fast ausschließliche Inhalt meiner Korrespondenzen sind. Deshalb habe ich, Herz, meine Erzählung kurz unterbrochen. Bitte verzeih.
Nun bin ich wieder b e i Dir.
Ich rauche (viel zu viel, seit Du weg bist; immer denk ich: es kommt nicht mehr drauf an; nur insofern, also, rührt mein Husten von Dir) - rauche und überlege dabei. Das nämlich scheint mir das Erstaunlichste der nächtlichen Begebenheit zu sein, daß es vielleicht stimmt: Wenn wir nur beide voneinander träumen wollen, daß wir dann tatsächlich beisammen sein können, ohne daß Du in Deinem realen Leben etwas ändern mußt. Wir legen uns hin und schreiten beide zur Tür. So ließe sich doch halten, was einander sonst ausschließt: wir unser Uns. Es wäre gar kein Betrug dabei, und niemand würde verletzt, nicht er, nicht ich, nicht die Löwin, weder die junge Dichterin noch Amélie. Alles könnte, wie es ist, bleiben und wäre dennoch völlig anders.
Wir müssen ja nur einmal rechnen.
Die meisten Menschen schlafen zwischen sechs und acht Stunden täglich. Nehmen wir nur sechs. Das ist ein Viertel des Tages. Du brauchst an die sieben, das ist sogar mehr. Laß uns dennoch beim Geringsten bleiben (ich meinerseits werd es sicher schaffen, meine vier Stunden plus der einen zu Mittag ebenfalls auf sechs zu dehnen). Dann sind wir jede Woche zweiundvierzig Stunden zusammen, nahezu jeweils zwei wie ununterbrochene Tage. Pro Jahr sind das etwas mehr als drei Monate, also ein ganzes Viertel dieses Jahres, ein ganzer jeweils, sagen wir, Sommer. Selbst dann, hätte ich von heute aus nur noch zwanzig Jahre zu leben, gehörten davon ganze fünf uns. Wär das wohl Zeit genug? Die meisten Ehepaare, wegen ihrer Berufe, haben weniger füreinander - gerade Du weißt das sehr gut. Und werden einander so zunehmend fremd.
Das ist schmerzhaft, man will es nicht wissen, nicht wahrhaben, wie alles so ausläuft, auseinander. Man bekommt die innere Entwicklung jeweils des und der anderen doch gar nicht mehr mit, zumal es ja wahr ist: Gerald, wenn er abends heimkommt, ist wirklich„geschafft“, ja völlig erledigt. Er hat tags in einer restlos anderen Welt als Wiebke gelebt; ganz objektiv k a n n er die Gedichte, die sie ihm abends neben seinen Teller legt, nicht verstehen. Er müßte sich denn auf eine Weise sensibilisieren, die ihm den nächsten Tag furchtbar schwierig machen würde, wenn nicht sogar unmöglich, ihn und die drauf folgenden Wochen noch irgend zu bestehen. Dafür muß er unempfindlich bleiben. So entstehen freilich Depressionen. Dann muß er Pillen schlucken, die ihm auf die Hand schlagen oder sie ihm, noch während er sie nach Wiebkes wunderschönem liegenden Frauenbauch ausstreckt, einschlafen lassen. Ach, sie sehnt sich aber so danach! „Bitte, laß mich erst dieses Geschäft zueendebringen. Nimm doch bitte diese Rücksicht.“ - Er hat ja recht, ja recht! Solch eine Verantwortung, die ihn bindet! Er nahm sie doch für Euch! um Euer beider Wohlfahrt!
Doch selbst, wäre er weniger konservativ als er ist und legte nicht solch einen Wert darauf, daß er aus eigener Kraft auch seine Frau ernährt, sondern Du trügest einen selben Teil für Euer Leben bei, selbst dann, es sei denn, Du hättest denselben Beruf, so daß Ihr zusammenarbeiten könntet – selbst dann, und erst recht, lebtet Ihr Euch auseinander – es wäre erst recht nicht mehr genügend Zeit, einander zu erzählen, was Euch die meiste Zeit des Tages bewegt und wohin es Eure Seelen je hinführt. „Aber in sechs Wochen“, sagt Gerald, „da haben wir die Zeit.“ (Bekanntlich hat er den Skiurlaub gebucht; im Urlaub holen die beiden alles nach, bestimmt). „Drei ganze Wochen“, sagt er, „nur für uns.“
Von morgens bis abends, dann, auf den Pisten. Mit glühenden Wangen speisen sie zu Nacht. Ein bißchen Grog dann noch, nun ja. Außerdem hängt er auch da an den Pillen. Ansonsten versänke er, in solcher Untätigkeit, in seinen Gründen. Viele Menschen, wenn sie mal loslssen können, werden erst einmal krank. Die ständige Anspannung fällt von ihnen ab, also auch die Spannung, die sie ihrem Immunsystem geben. Da fließen dann die Viren nur ungehemmt hinein.

(Claus-Steffen Mahnkopf, Zweite Kammersinfonie, 1998/99:
Accademia tedesca Villa Massimo, Roma.)

(9.44 Uhr.)
Claus-Steffen Mahnkopf. Mit dem ich in der >>>> Massimo war, als ich die wahrscheinlich wichtigste Liebe meines Lebens durchlebte. Auch das hat Gründe, daß ich jetzt, da ich Dir schreibe, zu Mahnkopfs Musiken greife. Ich wollte sie neben Dich stellen, Geliebte, j e n e, und t a t es. Im ersten Moment unsres Blickens. Es tat da s i c h. Wie warst Du verzweifelt unter der schimmernden Haut! in Deinem sanften wissenden Lächeln -
Daß aber i c h erschien! Wie Du das nicht faßtest! (Wie L e n z es nicht faßte! Wie G e r a l d es nicht faßte. Als er noch ganz jung war, und nun ist alles fast schon vertan...
„Nein!“ ruft Wiebke. „Da ist noch so viel da!“ Sie ist so wunderbar in ihrer Kraft, aus jeder Träne ein Lächeln zu drücken. Und dann schlägt die Welt zu, Du weißt schon, die, sagte ich, nächste Geschichte: Irgend eine Konferenz in irgend einer lydischen Hauptstadt. Irgend eine nächste Sìdhe. Und G e r a l d wirft‘s aus der Bahn. Vielleicht wird aber diesmal sie, diese Sìdhe, es sein, fünf Wochen später unter der Trennung zu leiden. „Da ist noch“, ruft Gerald, weil die Sìdhe nicht versteht, „so viel d a!“ Womit er Wiebke und sich meint.)

(Spiegelfiguren, Geliebte. Horchst Du nach innen, schreibt Bloch, dann hörst du das Außen.)

Ich will in Deine Achselkapellen zurück.
Saugte ich nachts an den Wimpeln? Dieser feine, Herzchen, Schleim. Ich kenne seine Süße.

Alban
*

(15.49 Uhr,
Hildur Gudnadottír, Opaque.)

Nun trinke ich schon Tee wie Du! (Mein Sohn kam früher aus der Schule, wir plauderten, er übte am Cello, ich spielte ihm die >>>> Gudnadottír vor, mit der mich gestern nacht der Freund bekannt. Der junge Mensch war, also mein Sohn, sofort, wie ich es mir gedacht, Feuer und Flamme: „Schickst Du mir bitte gleich die Links über Skype?“ - Dann schlief ich).
Es ist ein bißchen was für die kleine Reise vorzubereiten, auch wegen der Aufnahme mit Paulus Böhmer morgen abend. Im Mittagstraum erschienst Du n i c h t; Du wirst wohl, nach Deinerseits Deiner Reise, einiges aufzuarbeiten haben. Ich bin auch, Herz, ganz ruhig.
Körperlichkeit („Saugte ich an den Wimpeln?“). Die leichte Abscheu, die so viele haben und wie so weniger Frauen. Weil sie näher an der Erde? „Welche Frau schleimt nicht schon mal gerne etwas herum“, sagte eine nahe Freundin einmal. Dagegen die „männliche“ Bewegung in den Himmel. Luft- sind Kopfgeburten. Sie haben keinen Geruch. Wie ich um jede Erinnerung kämpfe! - wie L e n z um sie gekämpft hat, als die Lydierin wieder davonwar! Wie er darauf verwiesen war – Dir gleich, bevor es Mich für Dich wurde – sich alles, was er erhofft und ja doch auch erlebt hatte, nun gerade in diese Luft hineinzubauen, aus der er für die Lydierin auf die Erde gefallen war, endlich endlich auf die Erde! Aber was half es? Sie war fort. - Wohl auch deshalb sein ihm zuvor ganz unbekannter Drang, Boden umzugraben und die Stein wegzuwuchten, Teig zu kneten und Brot zu backen, ein geradezu Trieb, der um so stärker durchbrach, je tiefer er sich in den nun ja wieder gen Himmel geschriebenen Briefen vergrub: Elben sind Luftgeschöpfe, die reinste Fantasy, monierte schon diadorim.
Dazu meine Visionen, die auch er hatte, vor allem, wenn es sich besorgungenhalber nicht vermeiden ließ, hinunter nach Triest zu fahren. Fast ehrfürchtig vermied er dann der Lydierin Viertel, stieg stets weit ab davon aus dem Bus. Selbstredend vermied er jedes Lokal, in dem sie mit ihm gesessen hatte. Wobei... „Ehrfucht“? Ja, schon, aber wohl vor allem, weil in dem Wort die Furcht enthalten ist und objektiv, wenn einer derart abhängig ist und er das zeigt, seine Ehre in Gefahr ist. Viele hätten ihn in dieser Zeit als lächerlichen Mann angesehen. Nur daß er begriff, eigentlich vorher, in seinem früheren Berufs- und deshalb auch im Eheleben, lächerlich gewesen zu sein, als er dem Protz noch glaubte. Jetzt lernte er den Unterschied; in seiner Zeit mit der Sìdhe war gar kein Raum gewesen, auch nur irgend etwas über sich zu lernen. Genau deshalb wurde er nun erst, in dieser Not, zum Mann: Verlassen worden zu sein, war dafür die Bedingung.
Wir lernen durch Katastrophen, wir persönlich wie wir als Gesellschaften. Ich erinnere mich, daß ich Dir einmal in für mich selbst furchtbarer Voraussicht, geschrieben habe, daß für Deinen Mann solch eine Katastrophe ich sein könne, werden könne; nun wurde ich‘s vielleicht. Auch das ist zu erwägen: ich als seine Chance, die beide, Jessir und die Lydierin, allein durch Lenz bekamen. Gut, Geliebte, Du hast recht, jemand anderes als ich hätte genauso dazu werden können.
Oder nicht? War eine ganz bestimmte Form der Nähe von-, im Wortsinn,-nöten? Siehst Du, wie das funktioniert, sich abzufinden? indem man einen Wert sucht im Verlust?
Bitter, meine Innige, einen Körper durch den Wert zu ersetzen. Vielleicht ist alle Moral eine Decke, die man über den Verlust zieht. Und dann legt man sich darauf - um nicht dauernd sagen zu müssen, ich vermisse Dich.

(Aber ich vermisse Dich. Wie sehr, das kann ich gar nicht sagen.)

A.
(17 Uhr).
*

(Ich werde heute abend unterwegs sein, erst hier fast gleich nebenan in der Literaturwerkstatt bei der Lesung einer jungen Autorin, die oft schon bei meinen eigenen Auftritten war. So ist es nur fair, wenn auch ich einmal zu ihr hingeh. Danach werd ich mit Amélie zum Essen aussein. Doch spätestens morgen früh werd ich Dir wieder schreiben, noch bevor ich nach Frankfurt aufbrechen werde.)
*


GrammaTau : Mäuseleichen

$
0
0
Kränkele vor mich hin; kränkele und kränkele. Mir scheint zu vieles einerlei zu werden / zu sein. Ich häkele sporadisch an meiner Masse an Texten herum, was Neues will ich überhaupt nicht mehr beginnen. Mich fasziniert auf bösartige Weise, wie ich am Liebesten überhaupt nichts tue. Trotzdem: wieder und wieder das eine Stück : Wie täuscht uns das Leben, wenn neben der strauchigen, süßen Himbeere der Kadaver eines Eichhörnchens liegt, wenn schnurrend die Katze im Stroh auf ihren Mäuseleichen thront. Wie täuscht uns das Leben, weil wir uns gerne täuschen lassen. - s a n d s t e i n b u r g

Nachrichten aus den Prenzlauer Bergen! : Pseudonym & Verwechslung

$
0
0

Liebe Leser und Leserinnen!

Ein Wort in eigener Sache. Es kommt, so mußte ich feststellen, immer wieder zu Verwechslungen meines Pseudonyms Norbert W. Schlinkert mit meinem bürgerlichen Namen Norbert W. Schlinkert – und umgekehrt. Sogar immer häufiger. Ich denke, das müßte nun wirklich nicht sein. Dabei machen manche den Fehler nie, andere aber ständig, viele jedenfalls viel zu oft, und es ist mir, um der Wahrheit die Ehre zu geben, schleierhaft, wie das überhaupt passieren kann. Muß man denn den Menschen alles bis ins Klitzekleinste erklären? Auf die Nase binden? Soll man an jeden bürgerlichen Namen und an jedes Pseudonym einen Beipackzettel tackern, eine Betriebsanleitung, gar Warnhinweise, nicht zusammen mit Alkohol einnehmen, nicht von der Seite anquatschen … Also ehrlich, das kann man sich doch alles denken, vorausgesetzt natürlich, man erkennt, wen man da vor sich hat, wer sich da entäußert, wer da aus dem Nähkästchen plaudert, sein Inneres nach Außen kehrt. Sie müssen auch berücksichtigen, daß immerhin auch nicht selten Fehler auftreten, wenn denn Norbert W. Schlinkert nicht für ihn gedachte Botschaften an Norbert W. Schlinkert weiterreichen muß, so wie dieser die nicht für ihn geltenden, was auch hier zu Verwechslungen oder gar zu einem Durcheinandergeraten der Nachrichten selbst führen kann, so daß am Ende niemand mehr weiß, wo ihm der Kopf steht und ob es überhaupt der eigene ist. Also, liebe Leser und Leserinnen, Sie sehen, die Angelegenheit ist ernst und erfordert Maßnahmen. Seien Sie also so gut und checken einmal alle Funktionen Ihres Denk- und Wahrnehmungsapparates durch, und prüfen Sie, wenn Sie schon einmal dabei sind, auch genau, wer Sie im Augenblick überhaupt sind, respektive nicht sind, tja, und dann, dann sollte es im besten Falle, so hoffen wir jedenfalls, nicht mehr zu diesen Unannehmlichkeiten kommen.

In diesem Sinne,

Ihr Norbert W. Schlinkert

Kritzeleien-15a-NB-Norbert-W.-Schlinkert

Guido Rohms gestammelte Notizen : Raimund Wendler

Die Dschungel. Anderswelt. (Alban Nikolai Herbst / Alexander v. Ribbentrop) : Eingedeckt.

$
0
0
Ich mag zarte Handgelenke.

Sie hat besondere, sitzt mir gegenüber, hält ihre Teetasse anmutend und erzählt, dass sie sich beim Laufen eigenartig regeneriert. Ihre Laufschuhe immer dabei haben. Auch zu solch Tagungen mit Hotelaufenthalt. Daheim als Auslaufmodel kauft. Es sei ihr gleich, welche Farbe gerade in ist. T-Shirt vom Discounter im Doppelpack, Sportjacke. Einfach. Die Laufschuhe sind die höchste Investition. Die müssen wie dazugehörend passen. Darauf achtet sie. Mehr braucht es nicht. Laufen geht überall. Yoga ist nicht ihrs oder überhaupt Beruhigendes. Da wird sie zappliger, kann sich nicht entspannen. Beim Laufen jedoch. (Daten)-Verarbeitung. Alles. Arbeitsstress und Vergeblichkeiten (sie lächelt), Frust und Gedanken und Traurigkeit. Den gleichmäßigen Rhythmus ihres Atems annehmen. Sonst nichts. Atmen und Schritte. Bis sich alles auflöst.

Ich betrachte sie. Sie ist schön. Nicht jung. Schön.

Der Park sei weitläufig. Sagt sie. Obwohl es am Eingang nicht so scheint. Und, dass sie die kalte Poesie mag, die der Schnee mit sich bringt. Und dann alles bedeckt.


particles : vom anemonentext

$
0
0

pic

alpha : 6.55 — Nehmen wir einmal an, ursprünglichem Code einer Seeanemone würde weiterer Code zugefügt, eine sehr kurze Strecke nur, sagen wir Jack Kerouacs Roman The Town and The City mittels Nukleobasenpaaren. Was würde geschehen? Inwiefern würde Jack Kerouacs Text Wesen oder Gestalt einer Seeanemone berühren? Würde der Text von Seeanemone zu Seeanemone weitergereicht, würde er sich selbst nach und nach verändern, würde er vielleicht entlang der Küstenlinien wandern? Seit gestern Abend, ich habe geträumt, sind menschliche Personen denkbar, die nur zu dem einem Zweck existieren, nämlich Ohren -, Augen -, Hand -, Arm — oder Beinsträuße zu durchbluten. Unheimliche Sache. — stop

polaroidkueste5

particles : ai : iran

$
0
0

aihead2

MENSCH IN GEFAHR : “Der iranisch-amerikanische Journalist Jason Rezaian befindet sich seit sechs Monaten im Teheraner Evin-Gefängnis in Einzelhaft. Er hat keinen Zugang zu einem Rechtsbeistand, wurde aber am 6. Dezember zum ersten Mal vor Gericht gestellt. Er ist ein gewaltloser politischer Gefangener. / Jason Rezaian, ein Iran-Korrespondent der Washington Post, wurde am Abend des 22. Juli zusammen mit seiner Frau Yeganeh Salehi, die für die Zeitung The National aus den Arabischen Emiraten schreibt, von Sicherheitskräften in Zivil festgenommen. Das Haus des Ehepaars wurde durchsucht und ihre Pässe konfisziert. Etwa einen Monat später erst wurde die Familie von Jason Rezaian und Yeganeh Salehi über den Verbleib der beiden informiert. Yeganeh Salehi kam im Oktober auf Kaution frei. Jason Rezaian wurde seinem Bruder Ali Rezaian zufolge mehrmals verhört. Ein von der Familie beauftragter Rechtsbeistand hat bislang keine Erlaubnis erhalten, Jason Rezaian zu besuchen oder seine Gerichtsakten einzusehen. Bei der Gerichtsverhandlung am 6. Dezember, die laut Ali Rezaian einen ganzen Tag lang angedauert haben soll, wurde Jason Rezaian lediglich ein Dolmetscher und kein Rechtsbeistand zur Verfügung gestellt. Zudem wurde er aufgefordert, ein Dokument zu unterzeichnen, in dem er sich der Anklagen schuldig bekennt. Was Jason Rezaian vorgeworfen wird oder warum, ist nicht bekannt. / Seit seiner Festnahme wird Jason Rezaian im Evin-Gefängnis in Einzelhaft festgehalten. Dort darf ihn seine Familie nur gelegentlich besuchen. Er leidet unter Bluthochdruck und muss deshalb täglich Medikamente einnehmen. / In einem Interview mit der Nachrichtenagentur EuroNews am 6. November wurde der Vorsitzende des iranischen Obersten Rats für Menschenrechte, Mohammad Javad Larijani, gefragt, wann Jason Rezaian freigelassen werde. Nach seiner Einschätzung hätte dies “in weniger als einem Monat” geschehen müssen. Kaum eine Woche später sagte jedoch der Stellvertreter der Obersten Justizautorität des Irans, Hadi Sadeghi, dass die Ermittlungen im Fall Jason Rezaian noch im Gange seien und dass diese länger als einen Monat dauern können. Die iranischen Behörden haben bisher nichts über die Gründe für die Festnahme von Jason Rezaian verlauten lassen.” — Hintergrundinformationen sowie empfohlene schriftliche Aktionen, möglichst unverzüglich und nicht über den 20. Januar 2015 hinaus, unter »> ai : urgent action

ping

particles : raymond carver goes to hasbrouck heights / 2

$
0
0

pic

zoulou : 3.55 — Ich kann nicht mit Sicherheit sagen, warum ich mich gestern, während ich einen Bericht über Untersuchungen der CIA-Folterpraktiken durch Ermittler des US-Senats studierte, an eine kleine Stadt erinnerte, die ich vor wenigen Jahren einmal von Manhattan aus besuchte. Ich las von Schlafentzug, von Waterboarding, von sehr kleinen, dunklen Kisten, in welche man Menschen tagelang sperrte, von Lärm, von russischem Roulette und plötzlich also erinnerte ich mich an Oleanderbäume, die ich gesehen hatte in Hasbrouck Heights an einem sonnigen Tag im Mai, an ihren Duft, an einen glücklichen Abend am Strand von Coney Island, an ein Jazzkonzert nahe der Strandpromenade. Ich notierte damals: Es ist die Welt des Raymond Carver, die ich betrete, als ich mit dem Bus die Stadt verlasse, westwärts, durch den Lincolntunnel nach New Jersey. Der Blick auf den von Steinen bewachsenen Muskel Manhattans, zum Greifen nah an diesem Morgen kühler Luft. Dunst flimmert in den Straßen, deren Fluchten sich für Sekundenbruchteile öffnen, bald sind wir ins Gebiet niedriger Häuser vorgedrungen, Eiszapfen von Plastik funkeln im Licht der Sonne unter Regenrinnen. Der Busfahrer, ein älterer Herr, begrüßt jeden zusteigenden Gast persönlich, man kennt sich hier, man ist schwarz oder weiß oder gelb oder braun, man ist auf dem Weg nach Hasbrouck Heights, eine halbe Stunde Zeit, deshalb liest man in der Zeitung, schläft oder schaut auf die Landschaft, auf rostige Brückenriesen, die flach über die sumpfige Gegend führen. Und schon sind wir angekommen, ein liebevoll gepflegter Ort, der sich an eine steile Höhe lehnt, einstöckige Häuser in allen möglichen Farben, großzügige Gärten, Hecken, Büsche, Bäume sind auf den Zentimeter genau nach Wünschen ihrer Besitzer zugeschnitten. Nur selten ist ein Mensch zu sehen, in dem ich hier schlendere von Straße zu Straße, werde dann freundlichst gegrüßt, how are you doing, ich spüre die Blicke, die mir folgen, Bäume, Blumen, Gräser schauen mich an, das Feuer der Azaleen, Eichhörnchen stürmen über sanft geneigte Dächer: Habt ihr ihn schon gesehen, diesen fremden Mann mit seiner Polaroidkamera, diesen Mann ohne Arme! Gleich wird er ein Bild von uns nehmen, wird klingeln, wird sagen: Guten Tag! Ich habe Sie gerade fotografiert. Wollen Sie sich betrachten?

ping


Guido Rohms gestammelte Notizen : ARTgerecht

$
0
0

Malerfürst Michael Püppertz feierte in den 90ern große Erfolge mit seinen leeren Leinwänden, die den Zuschauer einluden, sich selbst einzubringen. “Die Leute sollen die Leinwand mit ihrer Fantasie aufladen.” 1992 wurde seine “Leere Leinwand Nummer 17″ für 80 Millionen Mark an einen unbekannten Sammler in der Schweiz verkauft. “Wir alle sind leere Leinwände, die vom Leben erst allmählich bemalt werden”, sagte Püppertz in einem Interview mit dem Magazin “Markt und Kunst”. Weitere berühmte Werke: “Leere Leinwand Nummer 21″, “Dreieckiges Quadrat Nummer 4″ und “Sargähnlicher Sarg”. “Sargähnlicher Sarg malte ich, um zu zeigen, dass Malerei nicht die Welt selbst ist, sondern nur ein Versuch, sie abzubilden.” Im Moment, so sein Sekretär Frank Haverkamp, malt Püppertz an einem großformatigen Bild mit dem Titel “Bildähnliches Bild”. Danach will er sich einem neuen Zyklus leerer Leinwände zuwenden. “Ich will die gesamte Leere erkunden, da sind noch so viele Leerstellen.”

püppertz3

Foto: “Leere Leinwand Nummer 23″ von Michael Püppertz , Nichts auf Leinwand, Kaufpreis: 90 Millionen Euro


rheinsein : Chrüzberg

$
0
0

Abseilen am fünften Kreuzberg gegen die Rheintaler Seite um das Jahr 1920. Fotograf: Jean Gaberell (1887-1949)

Die Kreuzberge (schweizerisch: Chrüzberg) gehören zum Alpsteinmassiv. Sie erinnern an einen auf das Grundmassiv gepfropften Pfeilerverbund. Acht Gipfelpunkte sind vermessen und mit römischen Ziffern nummeriert. Bevor sie von Alpinisten vereinnahmt wurden, waren die Kreuzberge gleichsam geschichtslos, ohne wirtschaftliche, allenfalls von visueller Bedeutung. Historische Gedichte, welche die Chrüzberg zum Gegenstand haben, sind nicht bekannt. Im rechten Bildmittelgrund fließt der durchaus bedichtete Alpenrhein. Der vorstehende Fels, an dem das Seil befestigt ist, ist heute nicht mehr vorhanden. Wie Karin Lehner, die uns das Foto übermittelte, schrieb, sei er “auf einmal eines Nachts verschwunden”.

in|ad|ae|qu|at : OUT NOW: flugschrift #10: Friederike Mayröcker | Bodo Hell “vom Umarmen, vom Einflüstern”

$
0
0

⇒ literaturzeitschriften
flugschrift

FS als wandschrift Friederike Mayröcker nov 2014 litreraturhaus wien-foto Lukas Dostal inadaequart org

flugschrift als wandschrift– Installation im Literaturhaus Wien, Foto © Lukas Dostal

FS 10 Titel

Es gibt sie wieder, die guten Dinge: Salon-Autor ⇒Dieter Sperl hat seit Jahren ein waches Auge dafür, wie und wo Räume für Sprach-, Bild-, und Soundkünste eingerichtet werden könnten. So etwa konzipierte und kuratierte Sperl 2005 – 2007 für die Zeitschrift ST/A/R die Reihe schriftwechsel, Binnenzeitschrift für diversitäre Erzählformen.

Das von Sperl verantwortete Periodicum namens ⇒flugschrift (in Kooperation mit dem Literaturhaus Wien) gibt mit dem Leitsatz Literatur als Kunstform und Theorie zu verstehen, dass flugschrift keine dekorativen Arrangements von Lyrik, Prosa und Essay unternimmt.

Im Gegenteil werden für jede der vier jährlichen Ausgaben Künstler und Künstlerinnen eingeladen, in Zusammenarbeit mit dem Grafiker Dominik Hruza eine solche Ausgabe textuell und bildnerisch zu gestalten. Dank der Faltung lässt sich flugschrift gut blättern, wobei der beidseitig bedruckte Papierbogen von 480 x 672 mm für die Anlage widersprüchlicher / konzeptueller / poetologischer Valenzen angelegt ist. Recto und Verso können einander ergänzen, müssen dies aber nicht.

|||

TS 10 Fliesstext 01

Friederike Mayröcker | Bodo Hell: flugschrift #10: vom Umarmen, vom Einflüstern

Ausgangspunkt und Fokus des Schreibens sind Robert und Clara Schumann: der Komponist und die Pianistin.

vom Umarmen, vom Einflüstern ist voll von Assoziationen, gedanklichen Abzweigungen und Andeutungen von Lebenswelten (vom Cafe Drechsler zur Nervenklinik von Endenich, weiter zum Takao-san, dem “Kobenzl Tokios” und wieder zurück aufs “Soffa”), deren Personen sich in den Lebensverwehungen ihrer poetisch-biographischen Partikel manifestieren – und zugleich auch wieder verlieren.

TS 10 Fliesstext 02

|||

Hinweis 1: Drei Abende wird in Wiens Literarischen Quartier Alte Schmiede mit, über und zu Friederike Mayröcker, ihre Arbeitsweise und ihr Werk gehandelt. ⇒ Link zum Programm
Hinweis 2: Zeitgerecht erscheint die Anthologie: Der Königin der Poesie. Friederike Mayröcker zum 90. Geburtstag. Hg. von Erika Kronabitter.- Verlag Edition Art Science 2014 (260 S., € 18.-)
// 170 Beiträge ! ⇒ Autorinnen Autoren, siehe unten // Link zum Verlag

Friederike Mayröcker @ in|ad|ae|qu|at

|||

FS 10 Impressum

⇒ Grundsätzlich ist die flugschrift gegen einen Unkostenbeitrag von € 3.-im Wiener Literatuhaus zu haben . Für Leserinnen und Leser , welche ausserhalb der Nahverkehrszone leben , bietet sich ein Abo an :

Abo 4 Ausgaben 2013 € 17.- | D : € 25.-
Abo 6 Ausgaben 2012 / 2013 € 26.- | D : € 35.-
Zu bestellen sind die Abos bei : dieter [dot] sperl [at] aon [dot] at

⇒ Back: N° 1: Anselm Glück | N° 2: Ann Cotten | N° 3: Peter Pessl | N° 4: Petra Coronato | N° 5: Händl Klaus | N° 6: Thomas Raab | N° 7: elffriede.aufzeichnensysteme | N° 8: Harald Gsaller | N° 9 : Liesl Ujvary

|||

⇒ Autorinnen Autoren der Anthologie Der Königin der Poesie. Friederike Mayröcker zum 90. Geburtstag. Hg. von Erika Kronabitter.- Verlag Edition Art Science 2014

Malte Abraham, Manfred Ach, Martin Amanshauser, El Awadalla, Thomas Ballhausen, Dato Barbakadse, Zdenka Becker, Ruth Johanna Benrath, Sven Bernitt, Marcel Beyer, Georg Biron, Markus Breidenich, Theo Breuer, Ada Brodsky, Patricia Brooks, Helwig Brunner, Michael Burgholzer, Darley Rojas Castaneda, Manfred Chobot, Peter Clar, Helga Cmelka, Crauss., Bisera Dakova, Stephan Denkendorf, Ute Dietl, Esther Dischereit, Ulrike Draesner, Stephan Eibel Erzberg, Hans Eichhorn, Niki Eideneier, Ulla Ekblad-Forsgren, Tobias Falberg, Christel Fallenstein, Marcell Feldberg, Ingrid Fichtner, Franzobel, Bettina Galvagni, Petra Ganglbauer, Sascha Garzetti, Sigrid Glück, Axel Görlach, Nora Gomringer, Harald Gröhler, Sabine Groschup, Gertrude Maria Grossegger, Ralph Grüneberger, Olga Sánchez Guevara, Wolfgang Haenle, Friedrich Hahn, Christine Haidegger, Hans Haider, Sonja Harter, Bodo Hell, Cornelius Hell, Stefan Heuer, Arne Hilke, Peter Hodina, Christine Huber, C.H. Huber-Tyrol, Sandra Hubinger, Cornelia Hülmbauer, Irmgard Hunt, Gerhard Jaschke, Elfriede Jelinek, Nils Jensen, Margit Jordan, Roland Jordan, Juliana Kaminskaja, Igor Kaminskij, Adrian Kasnitz, Christian Katt, Udo Kawasser, Elfriede Kehrer, Brigit Keller, Odile Kennel, Marie-Thérèse Kerschbaumer, Christine Kertz, Ilse Kilic, SI. SI. Klocker, Barbara Maria Kloos, Magdalena Knapp-Menzel, Markus Köhle, Hildegard Kokarnig, Martin Kolozs, Margret Kreidl, Erika Kronabitter, Augusta Laar, Hilde Langthaler ,Marianne Lanz, Elke Laznia, Anton G. Leitner, Rosa Leitner, Pia-Elisabeth Leuschner, Swantje Lichtenstein, Ina Loitzl, Elsbeth Maag, Tabea Xenia Magyar, Monika Meister, Robert Menasse, Lydia Mischkulnig, Adi Morawitz, Chrissanti Moukrioti, Kurt Neumann, Astrid Nischkauer, Thomas Northoff, José Luis Reina Palazón, Frieda Paris, Alexander Peer, Elisabeth Pein, Werner Pelzer, Kevin Perryman, Peter Pessl, Helmut Peschina, Gabriele Petricek, Dine Petrik, Mathias Pfeiffer, Birgit Pölzl, Marcus Pöttler, Liselotte Pope-Hoffmann, Teresa Präauer, Karin Posth, Julya Rabinowich, Doron Rabinovici, Kurt Raubal, Wally Rettenbacher, Sophie Reyer, Julia Rhomberg, Sarah Rinderer, Gerhard Ruiss, Elisabeth von Samsonow, Thomas Schafferer, Claudia Scherer, Julia Schiff, Robert Schindel, Clemens Schittko, Christopher Schmall, Ferdinand Schmatz, Wanda Schmid, Matthias Schmidt, Siegfried J. Schmidt, Bastian Schneider, Hannah Sideris, Hans-Peter Stark, Verena Stauffer, Beate Steininger, Armin Steigenberger, Marion Steinfellner, Tina Strauss, Carmen Tartarotti, Yoko Tawada, Charlotte Ueckert, Ulrike Ulrich, Mikael Vogel, Roger Vorderegger, Sibylla Vricic Hausmann, Ingrid Wald, Irma Waldner, Joseph Wälzholz, Peter Wawerzinek, Georg Weckwerth, Peter Weibel, Peter Weiermair, Werner Weimar-Mazur, Fritz Widhalm, Gabriele Wild, Erika Wimmer, Herbert Wimmer, Kai Winter, Jörg Zemmler, Christiane Zintzen

|||

taberna kritika - kleine formen : Drone Wars

Die Dschungel. Anderswelt. (Alban Nikolai Herbst / Alexander v. Ribbentrop) : HEUTE ABEND: Argo in Karlsruhe. ANH liest. 13. Dezember 2014.

Die Dschungel. Anderswelt. (Alban Nikolai Herbst / Alexander v. Ribbentrop) : Zweiundzwanzigster Brief nach Triest. (Briefe nach Triest, 25).

$
0
0

Die Dinge, Herz
(... - „Dinge!“),
Arbeitswohnung, den 12. Dezember 2014,
freitags 5.52 Uhr,
Hildur Gudnadottír, Leyfäu Ljósinu
(Allow the Light: „Laß das Licht!“),


werden komplizierter, je älter wir sind. Erinnere Dich, daß wir Wiebke und Gerald doch eben deshalb in den Roman eingeführt haben, um sie, solche Kompliziertheiten, der Liebe zu ersparen; sie waren, die beiden jungen Leute, doch unsre Hoffnungsträger... - und wo stehn sie j e t z t? kaum daß wir uns versahen? Es sind ja nicht nur die von früher in ihr und unser Heute wirkenden Muster... ach, „nur“... daß wir mit Ambivalenzen leben müssen und wollen aber Eindeutigkeiten, wollen, wie Du, unbedingt sein. Sind wir es nicht, erleben wir das als Betrug, ob nun an uns, ob an dem andern. Und sind wir es, dann erlebt es der andre als Betrug. Nur wenige schauen da drüber und verstehen. Doch auch dann tut es ihnen weh.
„Ich wußte nicht, momentan, verzeih“, sagte gestern die Löwin, „ob ich das will, daß du herkommst und warst die Nacht zuvor mit einer andren Frau.“ „Ich weiß doch gar nicht, wie es wird“, sagte ich. Direkt zuvor hatte sie, die Löwin, mich „pragmatisch“ genannt, ein Vorwurf, der immer sonst mir ganz vorne auf der Zunge liegt. Sich etwas sehr wünschen und es trotzdem nicht wollen, es wollen aber d o c h. Je älter wir werden, desto enger windet sich das ineinander. Anstatt es auszuhalten, nehmen wir ein Messer.
D u nahmst das Messer. Hätte auch ich es genommen, irgendwann, wenn wir die Zeit gehabt hätten, um deren Fehlen ich klage? Ich kann‘s Dir, Geliebte, nicht sagen. Wäre denn, wäre die Lydierin bei Jessir alle Zeit geblieben, hätte sie sich trotz Lenz von ihm nicht getrennt, ihre Liebe auch annähernd so intensiv gewesen? Braucht Intensität den Ausschluß? Ist es wirklich die Frage, ob ich oder er? Oder stellen wir sie, weil wir im Herzen, und damit auch im Kopf, über die magischen Wünsche der Kinder nie hinausgekommen sind? Nun stell Dir das unter den Gesetzen des Markts vor! Eigentum und Habenwollen (Habenm ü s s e n - darum oben „Dinge“).
Sich aber auch nicht teilen können. Dennoch hat Amélie recht: Kein Mensch, für einen zweiten, kann alles sein; mancher ist Eines nur mehr als ein andrer; der ist indessen „mehr“ für ein andres, und nur in seltenen Fällen bleiben die Sphären klar definiert; meist verschwimmen sie ineinander und können sogar wechseln. Plötzlich ist aus der Nahsten das Begehren verschwunden, „plötzlich“, weil wir den Prozeß nicht beobachtet haben. Wie, meine Sìdhe, aber sollten wir denn? Es hätte doch einer Distanz bedurft, die wir eben nicht hatten und haben auch nicht durften, um nicht erkühlend lau zu sein. (Die vielen Hilferufe im und durch das Netz nach etwas, das wir zuhaus nicht mehr haben! Millionenfach tönt er, einer des andren unendliches Echo...)
Hätte sich auch uns, wär das Uns geworden, das Begehren so gelegt und hätte sich als ruhiges, wie nahe auch immer, beruhigtes Gewöhnen abgesetzt, Schwebeteilchen gleich, wenn das gewirbelte Wasser wieder stillwird? Vielleicht suchen wir das, als die Hitze, ja m e h r? und suchen letztlich in der ersehnten Ganzheit verlorene Kindheit? - nicht deren faktisch Konkretes, das sie uns einmal war, sondern die imaginäre aus den Märchen? Heimat, „angekommen sein“: Für das, in der Tat, wär ich, Geliebte, der Falsche gewesen. So wähltest Du recht.

Merkst Du‘s, mein Herz? Ich möcht Dir heute schreiben, weshalb Deine Entscheidung richtig war, nicht vielleicht die für ihn, sondern die gegen mich (natürlich schreibe ich‘s nur mir: auch das will ich ansehn). Lenz ließ der Lydierin reifen, die Deine aber schützt Dich selbst.
Dabei geht es nicht um Treue, die hab ich bis in den Tod. Ich würde nicht zögern, wäre das medizinisch erfordert, mein Rückenmark für Dich zu geben; jedes Organ gäb ich her, sowie Du es brauchtest. Ja. Selbst mein Leben. Doch nichts, nach dreivier Jahren des gemeinsamen Haushalts, auch nicht unser Kind, für das ich dennoch bliebe und gäbe für e s wie für Dich, hielte mich ab, einem nächsten magischen Blicken in eine nächste Achselkapelle der Cava grande zu folgen. So bin ich fürs dauernde Heim nicht verläßlich. Ich schrieb das bereits am Anfang dieser Briefe. Nur hat sich die Perspektive gewandelt, da ich jetzt spüre, wie Lenz mich, der Grantler, beeindruckt. Ich seufze nicht mehr arg so viel. Statt dessen erzähle ich unsre Geschichte.
Nein, Du nach wie vor mir unfaßbar Schönste, es geht nicht um die sexuelle Begehrnis, obwohl auch das stimmt, daß ich die nie im Griff haben mochte noch konnte. All meine Partnerinnen, so innig wir immer auch waren, haben darunter gelitten. „Hat wenigstens auch sie“, fragte Do mich bitter und meinte die Mutter meines Sohnes, „mit deinen vielen Frauen zu tun?“ Das liegt nun fünfzehn Jahre zurück (ich vergesse nie). - Nein, es geht tiefer. Ich ziehe von Frauen meine Seele immer wieder ab, von der sie meinten, daß sie rein für sie sei. Das war sie auch stets, doch für gerahmte Zeit. Irgendwann immer durchbrach ich die Rahmen, brauchte die jeweils neue - die aber ganz die alte wieder – Glut, eine, die sich offenbar im Währen nicht erhält, nicht in der Normalisierung, die eine Familie aber braucht. Ich hingegen brauche den Sturm. Stelle mich sogar dann mittten hinein, wenn er das Haus zerstören wird, das ich noch hinter mir her m i t hineinzerr, wenn es nicht losläßt. Ruhe, auch wenn ich mich nicht anders nach ihr sehne als Du und wir alle, ist für mich nicht geschaffen, nicht der Verlaß des geordneten Ablaufs; irgendwann scheu ich und bäume mich auf. Wenn dann kein Sturm kommt, werd er ich selbst. Es kann sogar sein, daß ich ihn suche. Darin bin ich anders als Lenz.

Sowie das magische Blicken erlischt. Wenn es von Dir in eine andre hineinzog. Jedes Mal.

Stürme und Blicke.
Energien.

Nur daher die Kraft meiner Arbeit. Nur daher, daß ich mich niemals beugte, nicht müd ward, schon gar nicht ergeben. Daher auch meine Lebenslust - „Lust“ emphatisch gemeint, nicht gut noch böse, schon gar nicht, so wundervoll er ist, der parasympathikone Nachklang vertraulichen Einschlafs nach der Ekstase. Sondern das pure Zittern und Schwingen der Energien für sich. Die habe ich immer anzapfen wollen und müssen und angezapft. Nur darum habe ich bis heute gegen alle Widerstände bestanden und bin nicht fortzubringen aus der Kunst. Weil ich mir diesen Kontakt stets habe auffrischen können. Der Schlüssel in meine Arbeit war nie Moral; die interessiert mich allenfalls am Rande. Es war eben darum auch nie Politik (äußerliche Macht ist mir so gleichgültig wie funktionales Autoritäres). Sondern es war und ist diese Lebensenergie, die sie beseelt und sich nirgendwo anders so ausprägt wie in den Verhältnissen und Verhängnissen unsrer Geschlechter, damit – und deshalb hättest Du schließlich, Geliebte, unter und an mir gelitten – für mich in den Frauen. Eine von denen wurdest nun Du, der mächtigen Frauen in ihrem Umstrahltsein, das ihnen aus der Haut scheint, die bisher letzte von denen. Aber w i r k l i c h die letzte? Ich beginne zu zweifeln. J e d e neue war die letzte.

Triebhaft.

(Nicht sehr emanzipiert, das magische Konzepte der Muse – nicht für die Frauen, nicht für mich selbst. Doch von allem Anfang an wirksam, seit ich meine ersten Erzählngen schrieb: kunsttriebhaft.)

So dreht sich nun etwas. Kann es wohl sein, daß Du mir einzig deshalb erschienst, damit dieser Roman geschrieben werden konnte? endlich geschrieben wird? Αἰαιαη oder Die Erleuchtung. - Liebste, entsinn Dich! Was geschah, nachdem ich die Idee für >>>> das Sterbebuch hatte? Wurde ich nicht selbst zu einem, der stirbt? Meine Güte, drei lange Jahre! Sogar ins Krankenhaus hab ich gemußt, bis ich es anfangen konnte; dazu, worüber die Löwin immer gelacht hat, meine Impotenzängste, die zum „Sterbendsten“ gehörten, das sich in mir austrug. Damit erst konnte ich Lanmeisters Blick auf die hübsche Werschevskaja, Du weißt schon, diese Pianistin, werfen, nämlich als er, und ihn so wirklich fassen. Weil nun aber Κίρκη nicht mehr bereitstand, ja sich so weit entfernt hatte, daß sie sich sogar meinem Imaginieren entzog, erschienst D u und legtest in ihren Blick, der mich ansah, den Deinen?
Davon konntest Du selbst gar nichts wissen, weder von dem Roman, der in mir gärte, noch von den mir auch selbst, als ich Dich ansah und so lang ich Dich ansehen konnte, ganz unbewußten Prozessen, die auf das neue Buch gnadenlos hingesteuert haben. Erst jetzt, in der Trennnung, beginne ich zu begreifen. Nur weil es nötig ist – für das Buch, nicht für mich, geschweige denn Dich – halte ich an unseren Energien derartig fest und tu nicht ein einzige Haar weg, das ich von Dir am Rand meines Duschbeckens finde. Immer noch schlafe ich mit Deinem Hemdchen im Arm ein, das ich immer noch küsse, jede Nacht neu. Ich tu es für den Roman, habe für ihn die Visionen und scheute, wenn sich's nach einem Freitod weiterschreiben ließe, wahrscheinlich nicht eimal den. - Gut, das ist Unsinn. Keine Frau, sondern alleine mein Sohn vermag einen Strich durch meinen Willen zur Dichtung zu machen. Bekämen wir beide ein Kind, dann freilich dieses genauso. Sonst aber niemand und nichts. Auch Du nicht, Geliebte – vielleicht Du am allerwenigsten sogar. Denn imgrunde warst Du gar nie gemeint. (Meiner Liebe, Liebste, zu Dir tut das dennoch keinen Abbruch; sie besteht zugleich.)

(8.35 Uhr,
Busoni, Fantasia contrapuntistica.)

Ich werde erst einmal schließen, aber vielleicht im ICE weiterschreiben. Wir dürfen unsere Figuren nicht aus den Augen verlieren. Da muß noch einiges nacherzählt werden, besonders aus der Lydierin und Lenzens erster Zeit, einer zu Jessir parallelen, den es für diese Frau noch einige Wochen lang gab. Von ihrem furchtbar schlechten Gewissen ihm gegenüber, ihren inneren aneinanderschlagenden Strömungen, aber auch Lenzens Verzweiflungen, die ihn indes nicht aufbegehren, sondern sich immer nur noch mehr fügen ließen. Er ertrug quasi alles, nahm jedes Leid, das seine Geliebte hatte, in sich selbst, als g i n g e das, an der Stelle einer anderen zu leiden, und sie dann wäre davon frei. Von ihren nächsten und nächsten Ungeheuerlichkeiten, spontanen Ausfällen gleichsam, Mutwilligkeiten, ausbrechenden Unbedingtheiten; erinnre Dich an den Ring. Und auch Wiebke und Gerald sollten unsere Aufmerksamkeit behalten. Seine Sìdhe schließlich und wie er die Versuchung endlich verscheucht, daß er sie dennoch nie verlieren wird... nie vergessen, was vielleicht möglich geworden wäre, und daß sie ihm lebenslang fehlen wird, etwas an ihr, das Wiebke nicht erfüllen kann, schon gar nicht als Mutter, die sie dann ist. Weil halt ein Kleines vorgeht. Typischerweise erscheint ihm, Gerald also, seine Sìdhe in der für frisch gewordene Väter härtesten Phase der Mutter-Kind-Duade. Das werd ich selbstverständlich nicht erzählen (>>>>„show, don't tell“; ein freilich als für die Moderne so ausgegebenes, aber eben n i c h t modernes, vielmehr auf Leserregression zielendes „Gesetz“), sondern eine Affaire hintertragen, die ich selbst durchlebt habe, als mein Junge Baby war. Auch hier gilt, daß alles, auch man selbst, für den Künstler Material ist. (Ich komme auf nichtentfremdetes Arbeiten zurück und auf die, Liebste, Dialektik, daß gerade dieses ein insFremdeRücken verlangt.)

Erst einmal aber ist nun meine kleine Reise vorzubereiten. Das noch gestern nacht für die Freunde gebackene Brot liegt bereit. Das Aufnahmegerät muß entsichert, die Bücher müssen herausgesucht, der elegante kleine Koffer möchte gepackt und das Hörstück-Typoskript, in der letzten Fassung, muß noch ausgedruckt werden.

Hast Du, Frau, eine Idee, wie ich mich kleiden soll? Mir ist ja noch immer nach mönchig, vielleicht sogar gerade – da ich mir wieder bewußt werde, was ich bin. (Übrigens genügte es vollauf, dafür diesen Busoni zu hören; man wählt eine Musik, und plötzlich steht das Bewußsein im Raum.)

Kann man das sagen?: stolz verfallen?

Verfallen und stolz:

Der Deine.
*

(15.30 Uhr, Hildesheim,
ICE 691.)

Ich habe unmittelbar (erhielt eine Verspätungsnachricht auf das Ifönchen) umdisponieren müssen, stand da bereits auf dem SBahnsteig Prenzlauer Allee, es war eine Frage zweier Minuten. Die App der Deutschen Bahn geöffnet: gab es Alternativen? Ich buche ja meist über Leipizig, eine nach Strecke kürzere, deshalb weniger teure, doch längere Fahrt. Nun gut, nahm ich halt doch eine schnelle Verbindung, im Zweifelsfall würde ich nachzahlen müssen, aber hatte bereits mein Argument auf der Zunge; es hat dann auch gestochen. Ich werde insofern sogar eine halbe Stunde früher als geplant ankommen; Böhmer bat darum, daß ich noch einen Wein besorgte. So besorge ich besser zwei. Das Brot für den alten Freund und die Freundin, die seine Frau ist, liegt wohlverpackt auf der oberen Ablage.
Zuerst, als ich meinen Platz gefunden hatte, las ich >>>> der Löwin neuen, einen in Bildkraft und seinem glimmenden Ungefähr fast atemberaubenden Texthttp://albannikolaiherbst.twoday.net/stories/weinlese/; zweimal unterbrach die Verbindung, was hinter Spandau, im alten DDR-Gebiet, bis heute noch die Regel ist. Dann ward ich müde, versuchte zu schlummern, schreckte auf und sah Dich an.
Du sahst zurück.
Eine oder zwei Minuten waren vonnöten, um mich begreifen zu lassen, daß es das Hintergrundbild auf dem Desktop war. „Da bist du ja“, hätte ich fast schon gesagt. Es ist kein neues Motiv, daß Figuren, die wir lesen, aus unseren Büchern zu uns herausklettern. Woody Allan, in Purple Rose of Cairo, hat das auf einen Film übertragen, seinen einzigen, den ich mag und nicht auf billigste Weise ironisch und kleinkariert finde... na gut, auch „Manhattan“ mochte ich; diesen einen aber hab ich geliebt. Erinnerst Dich, wie wir auch darüber sprachen und wie ich Dir dann auf dem Moby Dick vorlas, ja meine Lieblingsszene sogar, aus Gullivers Reisen, worin der Zwerg eine Brustwarze der aristokatischen Riesin erklimmt, ihre eine, sozusagen, Aristokrarze; er kam indes der dicken borstigen Haare, die spitzen Pfählen gleich wider ihn aus der groben porigen Haut so hingen wie auch standen, nur unter Schwierigkeiten hinauf - bis ihn die junge Dame am Schlafittchen nahm, mit zwei Fingern, und rittlings auf den Nippel setzte. In den „für die Jugend“ bereinigten Ausgaben fehlt dergleichen selbstverständlich. Und was ich alles angestellt habe, um das mir größte, weil wichtigste Liebesbuch, >>>> Aragons Blanche ou l‘oubli, für Dich aufzutreiben! All das war wahrscheinlich niemals real. Du mußte es mir nur sagen, daß ich‘s mir eingebildet habe – das wäre dann fast schon ein Sieg, wenn meine Figur mit mir spricht.
„So sei doch ruhig, Liebster. Begreif doch, bin in d i r.“ Sogar eine Hand legst Du mir auf den Unterarm. „Wir kannst du dich sorgen, mich zu verlieren?“ Und bittest mich, Dich zu mir zu lassen. „Da ist doch ein Platz frei...“ „Du möchtest ans Fenster?“ „Dort ist‘s mir zu kühl. Ich reagiere auf air condition empfindlich.“ (In der Tat, wie schnell Du immer frorst!)
Als Du sitzt, lasse ich meinen Kopf auf Deine rechte Schulter sinken. Wer uns beobachtet, sieht ein leises Schluchzen (sieht es, ja, sieht; hören kann man es nicht, allenfalls kannst Du spüren, wie es als warmes Wellen durch die Hohlräume Deiner schmalen Brustknochen läuft). „Wie kannst du nur denken, daß du jemals deine Muse verlierst?“ Aber da schlummr‘ ich schon wieder. Trotzdem hör ich Dich lachen. „Als ließen solche wie ich jemals los!“

Ich hab Dich wie flüssiges Rauschgift getrunken.

(Lenz wankt tagelang, immer wieder muß er sich irgendwo festhalten. Auf seinen Kreislauf ist gar kein Verlaß. Einen Arzt aufzusuchen, wäre indessen vollkommen sinnlos. Wie gut, daß er kein Auto mehr fährt! Wochen noch später rutscht sein aufrechter Gang auf den Schwächen und fällt, fällt immer tiefer, schlägt auf in Deinen Achselkapellen. Wie kalt ist‘s mit einem Mal da geworden! realistisch geradezu: in dieser kleinen Nebengrotte fast ganz am Grund der Cava grande, kaum wärmer als 12 Grad Celsius. - Was wird dort draus geboren werden? Fossa: italienisch für „Krater“. Lavamassen austretenden Östrogens, Progesterons, tiefer und tiefer die Zunge im östradiolen und gestagenen Magmagemisch, mit ihrem hohlen Rohr und der Mündung, die vorstößt.

- Indem er aufschreit, erwacht er. Die andren mit mir im Waggon sehen her, mindestens so erschrocken wie ich. „Entschuldigen Sie bitte“, sage ich, „ich habe nur... offenbar... ein Albtraum.“ Jetzt stotter ich sogar?)

Bevor ich weinen kann, peinlich, ich weiß, liegt erneut Deine Hand auf meinem Arm.
„Schlaf wieder“, sagst Du, denn alles sei gut. „Hast schlecht geträumt, hast schlecht geträumt.“
„Wo sind wir?“
„Gleich in Fulda.“
„Wie kamst du her?“
„Nie war ich weg.“
Nicht ganz mehr anderthalb Stunden bis Frankfurt.
Formklammern, |und. Sich schließende Kreise.

A.
ICE 691 (Fulda).
*

Die Dschungel. Anderswelt. (Alban Nikolai Herbst / Alexander v. Ribbentrop) : WeinLese

$
0
0

(„Sie hat sich nicht in der Hand.“)
(„Geben wir ihr was dagegen.“)
(„Hey. Löwin.“)
((„Ich bin hier.“))

Setz Dich auf den Boden, dicht an die Wand. Schieb den Rücken fest gegen die Fläche, den Hinterkopf, lass den Hals in die Höhe wachsen, schließe die Augen. Umfasse deine Knie, zieh sie an den Körper, lass sie rechts und links zur Seite kippen, leg die Fußsohlen gegeneinander. Nicht verkrampfen dabei. Einfach nur gegeneinander legen. Ja, so ist es gut.
Warte.
Atme.
Nun die Arme. Lass sie hängen, leg die Hände mit der Innenseite nach unten über deinen Bauchnabel, spür ihre Wärme. Leg die Fingerspitzen zu einem Dreieck zusammen. Schieb sie etwas tiefer, über
((K n o c h e nblume hat er sie genannt.))
(Vergiss es.)
den Hügel. Bedecke ihn mit Deinen Händen. Atme.
((Test, Test))
Begehrst Du ihn noch? Im Ernst,


Wie


viele Jahre hintereinander war die alte Frau mit ihr zur Weinlese nach Westhofen gefahren. Die Dackel, ausnahmsweise, blieben zuhause. (Für den Rest ihres Lebens würde sie sich an die W e l l e erinnern, die ihr beim Einsteigen entgegenschlug: wie stark der Käfer nach Benzin und den Familiendackeln roch. Oft waren die Hunde auch nass vom Wald gewesen.)
Man ging noch vor Anbruch des Morgens hinaus.
Die Flanken der Hänge. Darauf, säuberlich gereiht, Rebstöcke.
Das Kind war bedächtig, doch das fiel nicht ins Gewicht, die Gruppe war groß genug, schweigsame Frauen und Männer, deren Hände an den nachtnassen Beeren von selbst wussten, was zu tun war. Drei Stunden wurde gearbeitet, dann Frühstück, die zweite Schicht dann ununterbrochen plaudernd, nur die Kleine sprach weiterhin nicht. Es war ihre Art. Die Erwachsenen kommentierten das ebensowenig wie ihre zögernden Handgriffe.
Stunden ver
gingen so lang
samfür die Kleine.

Drin, viel später, der Moment, in dem zwei oder drei von uns die Schuhe auszogen, in den riesigen Bottich frisch geernteter Trauben stiegen. Alle wollten, wenige durften, ich passte immer noch mit hinein. Wenn ich mich vom dicken, hölzernen Rand des Bottichs mit nackten Beinen in den Fruchthaufen niedersenkte, betrat ich den merkwürdigsten Grund der Welt.
Trauben treten,


während in


der Nacht im zentralen Raum die Entscheidungen gefallen sind. Ich sehe zu, wie er sie entrückt, ich weiß, wie sich das anfüllt, er berührt ihre Flanken, routiniert, fast widerwillig. Sie murmelt etwas, doch ich bin zu weit weg.
Ab- und an sieht er zu mir herüber, eine Brücke, gleich gültig. Es spielt keine Rolle, was die Frau sagt; sie ist nicht gemeint.
Beiwohnen.
Das Bild greift mir mit beiden Händen ins Gesicht, die Stirn, in die Öffnungen, streift die Wangen, die Ernte auf meinen Hängen einzufahren, reiche Ernte, Weinlese.
Im Getriebe des Blickens feinste Härchen, versiegeln meine Nüstern, die Muscheln der Ohren, die Zunge schmilzt, die winzigen Poren der Haut, bis keine mehr allein ist. Ich verliere mein Gesicht,
(scheiß drauf)
(XXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXX)
doch die Augäpfel, verliebt, wie sie sind, rücken ein Stückchen zusammen, noch eines, dann aufwärts, die Verräter. Ich halte sie nicht auf. Als sie ineinander glitschen ist es, als wären sie nie getrennt gewesen.
Der Mann wirft mir einen Blick zu. Ich ihm auch. Nur einen aus einem.

Ganz
sacht
richte ich mich
her und



gehe aus:


Schwarze Corsage, langer, enger Rock, hautfarbene Bluse mit sehr kleinen, vielen Perlmuttknöpfen, Ringe. Keine Halskette. Schlichte, sehr hohe Schuhe. Mund nicht rot (vulg.), stattdessen das Auge verschatten, smokey!,
mein Stirnauge, meine Weide, Wimpern fast fingerlang, die Pupille eine süße Kirsche in dunklem Aubergine, riesig.
Ich tusche sie, die Wimpern. Versuche es: Das Bürstchen ist zu klein. Ebenso der Kajalstift. (Werde mir neues Schminkzeug besorgen, aber wo?)
Es klingelt.
Ich sehe aus dem Fenster; der Wagen wartet vor dem Haus.

Als ich den Raum betrete, Damen und Herren in Pulks und gewandet, ist mein Platz sicher irgendwo markiert, ganz gewiss aber geh ich nicht schildchenlesend durch die Reihen, ihn aufzuspüren. Man plaudert in den Gängen, jemand spielt eine Art (verdammte kack – Hirten...!) Flöte, Stoffbahnen, feinste, fallen weich von der hohen Decke, in ihrer Mitte Dutzende Amaryllis an Fäden, mit den Blüten nach unten erhängt. Ich schreite durch die
Reb
und
seh’ den Hünen. Sofort. (Klar.)
Er trägt Anzug, einen knappen Millimeter Haar auf dem Schädel, darunter definitiv XLarge. Verdammt, der Hüne hat von allem das Doppelte, will mir scheinen, und er kann g e h e n. Von Männern wie Frauen gibt es nicht viele, die das können.
Schon von weitem macht er eine HandPrankenbewegung, während er durch die
stöcke
pflügt.
Ich bleibe, wo ich bin und erwarte ihn.

Tainted Talents (Ateliertagebuch.) : (sorry.)

Die Suche nach dem Glam : Malware

$
0
0
Konventionelle Unterlegenheit in einer Höhle aus Haaren.
"Ich werde gerade gefickt, muss aber noch diesen Text schreiben ..."

Warteschleife nicht als Analogie, sondern als Realerfahrung. Als die Waschmaschine endlich da ist, werden erneut Versicherungsgründe vorgeschoben. Ich wollte aber den ganzen Service! Oh, leider Buchungsfehler. Den Rest vom Service gibt es dann am Dienstag. Wir rufen Sie an.

Im Lieblingscafé hielt man mich heute für den Bassisten von Seeed.

Über der niederrheinischen Kleinstadt lag ein verstaubter Himmel. Es war Mittagspause, sämtliche Läden hatten geschlossen. Die Geschäfte, die Omacafés, die Häuser lagen still. Nur das griechische Restaurant neben dem Juwelier hatte geöffnet. Der Amokläufer schien der einzig lebende Einwohner der Stadt zu sein. Er kratzte sich das rechte Wadenbein, schaute sich um und betrat das Restaurant. Es gab keine Gäste. Freie Platzwahl. Hinter der Theke lauerte ein Grieche, den er jetzt nicht erschießen konnte, weil er schließlich etwas essen wollte, und wer wusste schon, wann und wo er das nächste Mal Gelegenheit dazu bekam. Also nickte er nur still dem anderen einzigen Einwohner der Stadt zu und setzte sich auf einen Platz am Fenster. Draußen verkroch sich der Rest Sonne unter eine Wolkendecke, die sich nahezu übergangslos mit Bodennebel mischte. Das Gegenteil eines Sommers: Dies war kein melancholischer Sommerabend, durch den man mit einer Vespa brettern konnte. Kein Flirren, das wie Klebstoffdunst über dem Asphalt schwebte, keine warme Luft, durch die man mehr watete als lief. Dies war ein gewöhnlicher Oktobertag. Ein Tag in den Herbstferien. Der Amokläufer fühlte sich nicht zur falschen Zeit, aber in der falschen Schicht in der falschen Region geboren. Kein Mut und keine Mittel, in den Süden auszuwandern. Flucht oder Bombe, das schienen die einzigen Optionen zu sein.


Als ich in der MRT-Röhre lag, gab es keine Musik, nur den rüden Techno der Maschine.
Ich sollte sie also wiedersehen.

Mehr ist mehr, meine Wohnung füllt sich. Waschmaschine, Telefon. Auch ansonsten gibt es gute Nachrichten. Die WDR-Radiokolumne wird es auch 2015 geben; dazu bekomme ich eine taz-zwei-Kolumne. Jeden zweiten Dienstag auf der 14. Arbeitstitel: Schmerztagebuch.

Ich reite weiter die Angstwelle, ich versuche, den freien Tag zu genießen, Verführung und Spiel. Ich soll mich schonen, mahnt das Horoskop in der Welt Kompakt. Eine Woche noch. Im Februar geht es wieder auf Reisen. Es werden zwei Wochen Fuerteventura sein, das habe ich mir jetzt so ausgedacht. Draußen fällt der schwere Regen.




Die Dschungel. Anderswelt. (Alban Nikolai Herbst / Alexander v. Ribbentrop) : An Echo. (Wann ist das passiert?)

$
0
0
Narziss hat sich Heim getastet. Blutet noch immer untenherum. Wegen dir. Und wie! -Das war sehr schön.

Hast davon probiert. Na, heilt es schon? Ein wenig, oder? Sag ja! Ist ganz einfach. Ich weiß doch, dass es so ist! Brauchst also nicht felsig zu werden bis auf deine Gebeine. Ein schönes Antlitz: ist ein schönes Antlitz. Selbstliebe ist nur eine wunderbare Voraussetzung dafür einen anderen Menschen lieben zu können. Lieben zu dürfen: PUNKT!

Lies das! Das ist ein Anagrammgedicht. Darin bist du, Echo, auch enthalten. Denn irgendwann rückte auch er ihr, Pan, näher:

Hey Spottmaschine

Chaot speist Hymne
in Poetsystem. Hach,
metaphysische Not
ist so. Achte Nymphe
pachtet Sehmyosin
echonah. Systemtip:
MythOsTeiche Pans.
Typschema ist ohne
Noete sympathisch.
Ach hey, Miss Potent
misst Naechte. Hypo-
hypnose. Taste mich
Heim. Tat. Psychosen.
Schamestinte. Hypo-
typische ohne Samt.


Näher zu dir!

In alle vier Winde. Willst du das?
Was willst du?

Vertrauen? Können?

taberna kritika - kleine formen : @etkbooks twitterweek (20141213)

$
0
0

freut euch auf das etkbooks “jahr der musik” 2015 mit nicht weniger als drei einschlägigen publikationen ... / Lieber Herr De Maizière, ich habe Angst vor Neonazis und vor Geheimdiensten, die Nazis schützen. Bitte nehmen Sie meine Angst auch ernst. / * Drone Wars http://bit.ly/1IHQ6cD / in der gegengerade wirst du uns finden, wenn du uns suchst. #hoppyb #ybsp #gäubschwarz / hörst du den ruf der glorietten? / Today I look a bit ISIS. / * P20 Col des Ares http://bit.ly/13aLUlC / Scott Walker + Sunn O))) - Brando https://plus.google.com/113686963016468605058/posts/2YNeDnnGW33https://www.youtube.com/watch?v=G_NIop72vis / I MONSTER - The Backseat of My Car https://plus.google.com/113686963016468605058/posts/ebzjejvi24Whttps://www.youtube.com/watch?v=oPAreqdPt7Y / ich ziehe meinen alltag durch. / * 112 http://bit.ly/1IymtKT / (ich mach was mit pasta.) https://plus.google.com/113686963016468605058/posts/5RG7csNani5 / “Das Frühstücksproblem muss an jedem Ort neu angegangen werden.” / blumen bergen böses. / die kunst des absentierens. / Vladislav Delay - Huone [Uncut] https://www.youtube.com/watch?v=EWZHOjfIxqkhttps://plus.google.com/113686963016468605058/posts/TipqJZ12HSRhttps://www.youtube.com/watch?v=EWZHOjfIxqk /


(die kunst des absentierens.)


abgelegt in: twitterweek

Die Dschungel. Anderswelt. (Alban Nikolai Herbst / Alexander v. Ribbentrop) : Dreiundzwanzigster Brief nach Triest. (Briefe nach Triest, 26)

$
0
0

Nachher, Geliebte,
Böhmertisch, den 13. Dezember 2014,
Frankfurtmain am Sonnabend, 6.16 Uhr,
Küche, starkes lüftungshaftes Rauschen des Kühlschranks,

werde ich über den Tag wohl kaum mehr dazu kommen, Dir zu schreiben; deshalb bin ich auch hier bei den Freunden früh genug aufgestanden, um zumindest ein paar Zeilen, einzwei Seiten hinzubekommen; Romanarbeit braucht Kontinuität. Da setzt man sich nicht mal nun, mal paar Stunden später dran, mal hier einen Tag und mal dort. Sondern ich muß in der gefüllten Hülle bleiben, aus der ich ästhetisch synthetisiere, zu Prosa nämlich, was meine Haut trifft.
Literatur zu schreiben, ist eine Art Photosynthese des Gehirns: Es gewinnt die poetische Energie aus der Erfahrung. Dabei können wir nicht sondern, dies nehme ich, das andere verwerf ich, sondern es dringt in den Text, was er braucht. Halten wir‘s anders, wird er falsch. Wir dürfen auch uns selbst nicht, sagen wir, zurückhalten. Dichtung ist immer auch Entblößung, aber eine, die man für Gewebe hält. Nur wenige – ich will sie im Ton dieser Briefe „Eingeweihte“ nennen – wissen es besser; sie aber eigentlich wissen es schlechter, weil ihnen der Blick auf das Neue verstellt ist, zu dem die Erfahrungen werden, werden sie zu Kunst. Manchmal braucht es dann Jahre, um das zu verstehen, sowohl den Vorgang wie das schließliche Bildnis. Doch dieser Zeitpunkt, sind die Eingeweihten sensibel, kommt. Dann stehen sie da, erkennen das auf gerade ihnen unfaßbare Weise objektivierte Gebilde und rufen aus: „Wie konnte ich nur! Das nicht sehen!“
Auch mit mir, der es schrieb (aber schrieb ich‘s? selbst das wird ungewiß werden), hat es dann nichts mehr zu tun – so, wie all meine früheren Bücher, sofern sie gelungene sind, mit mir gar nichts mehr andres zu tun haben, als daß ich als Urheber gelte und daraus meinen, nun ja, „Ruhm“, jedenfalls Ruf beziehe, der nicht einmal ein guter, zur Lebzeit, sein muß. Ich komme noch einmal auf Ovid zurück, der in die Verbannung gehen mußte; zu viele meinten, sich in seinen Versen wiederzuerkennen. Auch ich selbst habe mit sowas Erfahrung. Aber sie dreht sich d o c h! kann ich da nur rufen, ja m u ß es, verpflichtet auf nichts als auf eine poetische Wahrheit, zu der poetische Gerechtigkeit gehört. Nur an ihr ist ein Werk auch moralisch zu messen. Alles andere sind Erwartungen des bürgerlichen Lebens (da ich bei „bürgerlich“ immer das Mittelalter, Geliebte, im Kopf habe und die Menschen, die ihre Häuser um die Burg herum bauten, in einem durchaus zweifelhaften Schutz durch die Burg, ziehe ich es vor, den marxschen Begriff „bourgeois“ zu verwenden).
Kunst ohne Risiko ist wenig wert. Sie wird schnell beliebig. Das – gerade auch persönliche, des Künstlers – zwingt zu einer gemeißelten Form (der Meißel kann auch Zersetzung sein, fetischisierter Werte zum Beispiel), die ihr über ihn selbst hinaus (über sein Selbst) ein Existenzrecht, Weiter-Existenzrecht, verleiht. Dies ist mein Credo.
Selbstverständlich kann ich mich irren; dann aber wäre der Irrtum der Motor und setzte, schüfe. Auch Gott ist ein Irrtum. Dennoch hätten wir, mein Herz, ohne ihn zwei Drittel der europäischen Kunstwerke nicht, mindestens. Es ist dies das, was ich seit langem die Realitätskraft der Fiktionen nenne. Denn die Werke, sind sie einmal durchgesetzt, wirken direkt auf die Wirklichkeit ein, und sei es durch Schaffung von Arbeitsplätzen, mehr aber wohl durch ihre Wirkung auf viele, die ihm folgen und beeinflußt von ihm sind.
Was an Persönlichem dabei gespeichert ist, einem irgendwann Müßigen, denn sämtliche wie vermeintlich auch immer beteiligten Personen sind da längst tot, spielt überhaupt keine Rolle: Es ist dieser Blick, den ich künstlerisch habe – ein anderer als unserer war füreinander, ein gewissermaßen kalter, weil er Material sieht. Ich bin auch selbst Material, ich kann mich da nur wiederholen. Wie solltest da Du keines mir sein?
Aber was ist sie, Fiktion? Was ist Erfindung? Eine Neukombinationen des Vorgefundenen. Das gilt in der Dichtung wie in der Physik. Neue Kombination des Gesehenen und Erfahrenen und dessen, was wir darüber vermeinen und vor uns vermeint worden ist. Woher auch immer wir‘s haben.

Wieso ich so ernst heute spreche? Vielleicht hat mir Dein Hemdchen gefehlt, als ich einschlief, und während der ganzen durchschlafenen Nacht. Nein, so weit reicht mein Fetischismus n i c h t, daß ich es mitgenommen hätte.
Aber auch die Gespräche mit dem Freund wurden schließlich ernst; auch in ihnen ging es schließlich ums Werk und darum, was von uns bleibt. Auch zwischen uns ist dieses Bleiben ein Thema gewesen, der menschliche Anspruch auf Dauer seiner Verhältnisse, unsere Sehnsucht nach Dauer: >>>>„Was spricht die tiefe Mitternacht?“ - Wir haben sie, die Sehnsucht, alle.
„Alles ist eitel“, hat der alte Brahms gesagt. Vielleicht hat er diesen Anspruch gemeint. Daß wir uns mit dem Vergehen nicht einigen können. Ich habe darüber ein Buch geschrieben.
Verfallenheiten, Geliebte.

(Ich würde gern über Betonungen sprechen, über die kursivierte Phrasierung. Mit Dir. „Aber ich bin doch da“, hast Du gestern im Zug gesagt. „Nie war ich weg.“ Dennoch sprech ich ins Leere.)

Du Innengeliebte: Dieses Wort, Innengeliebte, wird Lenz schließlich prägen – in einer Zeit, als noch lange nicht daran zu denken war, daß die Lydierin zurückkehren würde, ja das schien ihm eine solche Unmöglichkeit zu sein, daß er es nicht mal mehr hoffte. Doch in sich, als Innengeliebte, trug er sie in sich herum, und s o tatsächlich dauerhaft. In dieser Weise hat er in sich die Dauer verwirklicht, und diese Verwirklichung schuf ihn ganz um. Man konnte das sogar physiognomisch erkennen. In Abständen von sagen wir zwei Wochen je. Das Gesicht wurde härter, die zunehmend tieferen Falten modellierten es zu einer fast unheimlichen Klarheit; seine Augen zogen sich in ihre Höhlen zurück, aber entzündeten ein ständiges Glimmen. Ein bißchen fieberhaft sah das aus. Der Nasensteg schnitt sich hervor und bog sich sogar. Die Laschheit fiel von den Lippen. Auf der Stirn erschienen die beiden, direkt über den Augenbrauen, Wölbungen, und das Kinn wurde so knochig, der gesamte Unterkiefer links und rechts, daß man es scharf nennen mußte. - Es irrte, wer gemeint hätte, den hochgewachsenen Mann würde die Trauer beugen. Das Gegenteil geschah. Siue streckte ihn. Nein, seine Schulter fielen nicht nach vorne. Wer Lenz in dieser Zeit sah, spürte sofort, daß er sich vor ihm vorsehen müsse.
Meine Gute! dachte die Lydierin, als sie in der Tür stand und ihm in die Augen blickte. Was ist aus Lenz geworden? Sie dachte sogar, nackenabwärts lief ihr dabei bis ins Becken ein Schaudern, das sei nicht mehr Lenz. Die Verhältnisse hatten sich, wenn auch nur für diese wieder erste Nacht, umgekehrt: gewissermaßen war für sie nun e r ein Sìdhe.
Ich erzählte Dir schon, daß das nicht lange anhielt. Seine Stärke war die Abwesenheit seiner – laß sie mich jetzt mal so nennen – Frau gewesen. Daß sie zurückkam, beugte ihn wieder, beugte ihn neuerlich in sie hinein. Wir b r a u c h e n vielleicht ein Ersehntes; verwirklicht es sich, wissen wir nicht mehr, wohin. Auch das kann die schließliche Beruhigung, aus der die zunehmend gegenseitige Ferne im Verwirklichten rührt, erklären, die so viele müde gewordenen Ehen charakterisiert, - die langjährigen, wie man sie nennt, „eheähnlichen“ Lebenspartnerschaften selbstverständlich genauso. Das Konzept der Monogamie ist und bleibt eines des Anspruchs von Macht und Besitz, sowie, dies zumindest hälftig zugestanden, des Schutzes, namentlich von Kindern. Ein aber fraglicher Schutz, wenn wir uns die Geschichten so ansehn, und die Geschichte. Wir haben mit Monogamie viel Erfahrung, in den seltensten Fällen gute; mit freier Liebe haben wir wenig. Dennoch halten wir, weil sie uns vertraut ist und wir die Risiken kennen, an der schlechten Erfahrung fest. Auch darum geht es in diesem Buch. Du bist - wie ich bin und wie Lenz und die Lydierin sind, wie ebenso Wiebke und Gerald - nur ein aus dem Holz des Allgemeinen herausgeschnitztes Beispiel: Muster ganz selbst. Das ist so, wenn man zu Literatur wird – oder zu einem Bild. Selbst als Musik wärest Du so.

Du meine Musik, meine Innenmusik, die nicht verklingt. Sie wird nicht mal leiser. Im Gegenteil formt sich, wie Lenzens Gesicht, die Melodielinie immer deutlicher. Zugleich verschwimmt Dein Konkretes. Die bestimmte Frau wird zu ihrer Idee. Schon ist sie gewesen Bestimmtes. Wie mich das schmerzt, läßt sich lesen. Doch j e d e s Konkretum wird Muster, geradezu selbst, in dem Roman und als ein Roman, zur Allegorie. Nur deshalb können sich andre drin finden, und nur dann, wenn sie sich finden, gelingt er.

Trauerarbeit als Erkenntnis.
Da ich nicht ruhen kann. („Als ließen solche wie ich jemals los!“)
Kein Satz, den wir sprachen, bleibt unsrer, wenn er auf Gestalter trifft. Jeder Satz ein zu verknetender Lehm. Wenn wir begreifen, daß das mit uns nichts zu tun hat, sondern sich ablöst und neuformt, tut es nicht weh, sondern nur, wenn wir dran zerren, um ihn zu halten. Es läßt sich nichts halten: Genau das ist es, was Lenz in seinem Grenzhäuschen begreift. Er muß nur seine Beete dafür ansehn.
Das verrät er, als die Lydierin wieder da ist. Das habe auch ich verraten, als wir uns ansahn. Möglicherweise verrät es auch Gerald, als er zu Wiebke zurückkehrt (möglicherweise aber auch nicht; der Roman wird es zeigen).

(7.59 Uhr.)
Soeben kommt rasend unrasiert der Freund in die Küche. Er merkt, ich mag nicht reden. Er trinkt seinen Tee und raucht die erste Zigarette, wozu er schweigt. Dann stapft er ins andre Zimmer davon, l ä ß t mich mit Dir im Gespräch.
Gegen zehn werden wir seinen Sprechpart aufnehmen, gegen ein Uhr mittags sitz ich schon wieder im Zug. Ob ich Dir werde dann weiterschreiben können, ist fraglich, jedenfalls bis ich zurück nach Berlin reisen werde. Dann aber, ich versprech‘s Dir... spätestens Montag, Du mir naheste Ferne, im wiedernächsten ICE... Du mein Modell, das ich lege. Schau, das rechte Bein etwas beugen, bitte. Ja, so. Den linken Arm nun schräg übern Körper: schließe die Achselkapelle. Soll niemand drin wohnen als Jesus allein:

Herzrein.
Unsre kindlichen Wünsche.

Aber das fordernd violette Begehren Deiner Brustspitzen.
(Es gibt ein anderes Bild, die sozusagen Kehrseite, sagen wir Rückwand der Achselkapelle, ganz außen hinter der Apsis. Sie zeigt zum Wald. Ich meine einen kurzen Abschnitt der von Lenz errichteten Mauer, an der fast alle Leute vorübergehen, ohne sich seiner gewahr zu werden. Die einzige, die ihn wirklich erkennt, ist die Lydierin, nach ihrer Rückkehr. Und will ihn sofort einreißen lassen, genauso, wie sie will, daß die Briefe von den Wänden verschwinden. Indem er ihr, ja, gehorcht, geht Lenz sein Klares wieder verloren, verliert er die Form und schließlich abermals sie, seine Frau – und zwar eben w e i l er‘s verlor.

Alban)
‘

Viewing all 6060 articles
Browse latest View live




Latest Images