||| DIE TAGUNG | FRAGESTELLUNG | PROGRAMM | INTERVIEW MIT ELFRIEDE JELINEK ( AUSZUG )
DIE TAGUNG
Heute und morgen läuft im Berliner Haus der Kulturen der Welt eine Tagung vom Stapel . die sich mit unterschiedlichen Implikationen und Exemplifikationen von Netzliteratur beschäftigt . Ausgerichtet vom Verein Fiktion , einem
Modellprojekt deutsch- und englischsprachiger Autoren, das die sich durch die Digitalisierung eröffnenden Chancen für die Wahrnehmung und Verbreitung anspruchsvoller Literatur weiterzuentwickeln sucht
zusammen mit der Humboldt Law Clinic Internetrecht der Humboldt-Universität zu Berlin , des Hauses der Kulturen der Welt mit Förderung seitens der Fritz Thyssen Stiftung . in|ad|ae|qu|at dokumentiert .
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FRAGESTELLUNG
Wie verändern sich Produktion, Verwertung und Rezeption von Literatur in der digitalen Wissensgesellschaft? Was bedeutet Autorschaft? Welche neuen Geschäftsmodelle entstehen? Und wie verändert sich die Praxis des Lesens, wie jene des Archivierens? In einem zweitägigen Programm aus Vorträgen, Gesprächsrunden und Lesungen thematisiert der Kongress “Literatur Digital” diese und verwandte Fragen zur Zukunft der Literatur.
Das Urheberrecht dient – mit Blick zurück bis ins Römische Reich – als Ausgangspunkt, um interdisziplinäre Perspektiven u. a. aus den Rechts-, Kultur-, Medien- und Sozialwissenschaften, aus Anthropologie und Philosophie anhand von praktischen und künstlerischen Prozessen zu diskutieren.
Adam Thirlwell skizziert in einer Keynote Möglichkeiten, die das Netz dem digitalen Romancier bietet. Der Autor und Verleger Ou Ning spricht über chinesische Literatur und das Internet. Fiktion gibt Einblicke in dessen erstes literarisches Programm.
Mit Beiträgen von
- [ dem mit seine, Roman "8 1/2 Millionen" grossartigen ] Tom McCarthy, dem bloggenden Ästheten Nils Röller,
- Martha Woodmansee [ "The Autor- Effect" ]
und anderen sowie Gespräche zu Themen wie dem Wandel in der Verlagspraxis, Apps & Alphabetisierung oder der Erfahrung von Zeit im Netz nähern sich den Aktualitäten und Potentialen der Literatur im Digitalen. Die Künstlerin Dora García lädt im Lesekreis zur analogen Lesung und Decodierung von “Finnegans Wake” und anderen Texten ein.
Das Kongressprogramm wurde entwickelt von Katharina de la Durantaye (Humboldt-Universität zu Berlin), Mathias Gatza und Ingo Niermann (Fiktion) in Zusammenarbeit mit dem Haus der Kulturen der Welt.
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PROGRAMM
Das genaue Programm finden Sie hier – den Programmflyer hier . Im Vorfeld der Tagung verweist die Facebook- Seite von Fiktion auf ein Interview mit Elfriede Jelinek , Mitglied des Advisory- Boards . in|ad|ae|qu|at dokumentiert .
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INTERVIEW MIT ELFRIEDE JELINEK ( AUSZUG )
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Wie unterscheidet sich für dich das Lesen von Digitalem von dem von Gedrucktem?
Sehr schwer zu beantworten. Dieses Schnelle und Flüchtige beim Lesen am Bildschirm schätze ich für viele Sachen, vor allem bei Zeitungen und Zeitschriften oder fürs rasche Recherchieren zwischendurch. Ich würde nicht sagen, daß das Gedruckte etwas für die Ewigkeit ist, mehr Gültigkeit und Dauer hat. Sonst hätte ich auch nicht beschlossen, selbst keine Bücher mehr zu schreiben und meine Prosa nur noch auf meiner Homepage zu veröffentlichen.
Es ist dieses Oszillieren zwischen Dauer und Flüchtigkeit (das Netz verliert ja nichts, die Texte führen, unabhängig von Verwertern, ihr Eigenleben, mäandern herum, manche fallen manchen zufällig in die Hände, andere suchen gezielt danach, das fasziniert mich). Andererseits brauche ich für meine Recherchen Bücher auf Papier. Ich arbeite oft gleichzeitig mit zehn Büchern, das geht praktisch mit Rechnern und E-Books nicht.
Das wird vielleicht einmal möglich sein, jetzt finde ich es aber nicht praktikabel. Ich muß ja in die Bücher (oft ausgedruckt über Projekt Gutenberg, falls man es dort bekommt) Eselsohren machen, Randnotizen, das muß alles schnell gehen. Wenn ich Zitate recherchiere, nehme ich natürlich das Netz. Aber für die Zitate, die ich in die Texte einbaue und die ich beim Schreiben ja fast immer auch verändere, bewußt “verfälsche”, kann ich die Elektronik (noch) nicht verwenden. Die Zitate werden in meine Texte niemals mit copy and paste eingefügt, sondern immer abgeschrieben und eben verändert.
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Du hast gesagt, dass “Neid” im Netz für dich nicht richtig, sondern nur „virtuell” veröffentlicht sei. Denkst du das noch immer? Hat sich das durch die Reader- und Tablet-Entwicklung nicht geändert?
Virtuell im Sinne der Computerdarstellung eines realen Objekts, also eines Buches aus Papier. Entscheidend ist für mich aber etwas anderes: Wenn ich im Netz veröffentliche, dann gehört der Text mir, und er bleibt mir auch. Es hat etwas sehr Privates für mich, dieser Dialog zwischen einem Gerät und mir selbst.
Gleichzeitig hat jeder darauf Zugriff, der will. Diese Mischung aus Privatem und Öffentlichem hat mich von Anfang an fasziniert. Ich will ja meine Sachen im Grunde nicht ausliefern, und so habe ich das Gefühl, ich kann den Kuchen essen und ihn gleichzeitig behalten.
Hast du seither etwas an dem Roman geändert? Denkst du ihn weiterhin als weniger endgültig als eine Veröffentlichung in einem Verlag?
Ja, ich habe immer wieder nachträglich etwas geändert. Da ich ja auch oft mit politischen und sonstigen Fakten arbeite, geht das sehr gut, denn die Fakten ändern sich, und ich kann die Änderungen dann jederzeit eintragen. Nichts, was im Netz steht, ist in Stein gemeißelt.
Andererseits würde ich niemals irgendwelche früheren Fassungen eines Textes ins Netz stellen, das wird alles vernichtet. Ich möchte nicht, daß jemand meinen Arbeitsprozeß nachvollziehen kann (was ja durch diese Arbeitsweise möglich wäre). Es ist immer eine Endfassung, die im Netz steht, und wenn etwas geändert wird, ist das auch eine Endfassung. Natürlich ist das dann weniger “endgültig” als eine Veröffentlichung in einem Verlag. Aber gerade das reizt mich ja daran. Das Buch ist ein Ziegelstein. Bei Neuauflagen kann man zwar Fehler korrigieren, mehr aber auch nicht.
Du planst auch in Zukunft, deine Prosa ausschließlich auf deiner Webseite zu veröffentlichen? Hat es eher damit zu tun, wie sich dein Werk entwickelt (“Neid” hast du einen “Privatroman” genannt), oder damit, dass du zu der kommerziellen Verlagswelt auf Distanz gehen möchtest?
Nicht nur zur Verlagswelt (mit der ich übrigens nur sehr selten schlechte Erfahrungen gemacht habe), auch zum deutschsprachigen Literaturbetrieb, den ich für extrem korrupt und nepotistisch halte. Es ist ja immer lustig zu sehen, wer mit wem befreundet ist und wer wem einen Gefallen schuldig ist. Damit will ich jedenfalls nichts mehr zu tun haben. Und tatsächlich werden Bücher, die nur im Netz erscheinen, so gut wie nie besprochen. Das ist gut, also für mich ist das gut. So will ich es haben.
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- Gesamttext des Interviews
- Fiktion @ Facebook : https://www.facebook.com/www.fiktion.cc
- Mathias Gatza über sein digitales Modellprojekt Fiktion .
Was machen Verlage falsch, Herr Gatza?– buchreport 7. 11. 2013
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