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SUPER- ODER NICHT-SENSE | TO HAVE OR TO HAVE NOT | SCHULD UND SÜHNE | KAUF ALS HANDLUNG
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SUPER- ODER NICHT-SENSE
nur ein paar häuser entfernt und doch welten auseinander: während der eben in der historistischen mimikry-architektur des sog. “dogenhofs” situierte supersense– als letzter schrei unter den concept-stores– mit technischem retro (speziell: polaroid-kameras und: ja es-gibt-sie-wieder: -filmen) sich bobo-breitenwirksamer beliebtheit erfreut, beweist der phantastische radio-laden des Leo Josimovic seit fünfeinhalb jahrzehnten stehvermögen, stil und stupende sachkunde, sprich: sachkunst.
das mehr als dichtgedrängte waren-lager des kleinen ladens erübrigt den innenarchitekten; auch benötigt man keine chique-gastronomie, um kunden in kulinarische wellness einzubetten: wir lancieren in|ad|ae|qu|at mitnichten etwelche werbe-einschaltungen, wenn wir den kleinen radio-laden schlichtweg zum niederknien finden.
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TO HAVE OR TO HAVE NOT
freilich haben die objekte der technischen vintage-begierde hier wie dort ihren preis. was insoferne von vorteil ist, als letzterer uns auf kognitve ebenso wie emotionale weise vom impuls des habenwollens befreit.
weder besässen wir das nötige kleingeld noch die häuslichen kubaturen, die herrliche revox oder das wunderbare nagra zu praktischer verwendung aufzubauen. auch der braun’sche schneewittchensarg hätte es dort schwer, wo wir nicht einmal den (über zehn kilo schweren) technics 1200 einigermassen bedienfreundlich unterzubringen oder aufzustellen imstande sind.
nicht genug ist die hier angedeutete befreiung vom impuls (mitunter auch: von der idee fixe) der inbesitznahme zu loben: im wissen, dass die objekte der begierde an einem bestimmten ort, an einer bestehenden adresse jederzeit aufsuchbar sind (wir bezweifeln, dass sie im verkauf volatile schnelldreher sind), zieht eine gewisse gemütsruhe nach sich. es gibt sie noch, die guten…
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SCHULD UND SÜHNE
… was haarscharf das gegenteil der verkaufslogik des vintage-style-retail-konzerns manufactum ist: indem die ideologiesatten kataloge noch beim geringsten objekt dessen digni- und klassizität behaupten, werden wir als (potenzielle) kunden unablässig darauf gestossen, dass wir gebrauchsgut-mässig vergessliche warenkundler und traditionsdestruktive konsumenten sind.
selbstredend wollen wir uns als kulturbürger auch in dieser hinsicht nicht lumpen lassen und akzeptieren widerstandsarm all jene anmutungen, welche uns weismachen, gegenstände wie den bakelit-bleistiftspitzer (ausführung auch in sterling-silber) oder das berühmte grubentuch müsse man gleichsam “immer schon gehabt” haben. (letzteres war übrigens realiter bis zuletzt kurrent in unserer familie, deren männlicher nachwuchs sich zum existenzaufbau sämtlich im untertagbau rheinischer braunkohle verdingte.)
indem wir diese “guten dinge” bestellen, kommen wir diesem “haben-müssen”-imperativ nach, wobei uns das postalische eintreffen der im affekt georderten gegenständlichkeiten mitnichten mit einer der besitz-erweiterung angemessenen freude erfüllt. man hat uns – die wir uns auch masochistisch-demütig in die lange kundenreihe am slowfood-bio-stand des wochenmarkts einreihen, um uns seitens des personals auch noch streng anherrschen zu lassen– per katalogtext klar gemacht, dass der nichtbesitz gewisser dinge einer schuld gleichkommt, welche wir nur durch bestellung der bezeichneten waren einigermassen zu sühnen vermögen.
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KAUF ALS HANDLUNG
interessant ist, wie diese imperative des immer-schon-gehabt-haben-müssens (ähnlich wie die bestückung der eigenen bibliothek mit massgeblichen gesamtausgaben) den aspekt und den vorgang des konkreten kaufs fast vollständig ausblenden: die abbuchung vom konto ist nur ein schritt auf dem canossagang, welchen wir kultur- und pflichtschuldigst auf uns nehmen.
da sind uns die heidenpreise, die der radio-laden gut sichtbar an den objekten der begierde affichiert, schon lieber: sie stellen damit klar die umstände von kauf (Baudrillards symbolischem tausch), erwerb und besitzbedingung auf und aus. ganz gleich, ob wir uns da hinreissen lassen oder ob wir brav ansparen. ob wir dem impuls des habenwollens nachgeben oder ob wir ihm standhalten. und: ob wir gedanklich mit der einzigartigkeit und seltenheit des objekts spekulieren: es ist unsere entscheidung.
an der wir uns – siehe oben – so oder so erfreuen können. anders als im hinblick auf die als exklusiv bezeichnete massenware, die uns kultur-, besitz- und traditionsfeudal knechtet.
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